Eine Massenmobilmachung der Reimpaare (1914)

Professor Borkowsky (1860 geborener Leipziger Kulturhistoriker) (in: Unser heiliger Krieg , Weimar 1914 , S. 135ff)

Über Kriegslyrik und heiligen Krieg

Im Frieden sitzt jeder Mensch in seinem eigenen krausen Rosengärtlein und pfeift seine Lieblingsmelodie. Dann kommt der Krieg und wirbelt alle Kleinstaaterei der Herzen durcheinander, daß wieder die einfachen, starken Urgefühle der Menschheit Raum gewinnen: Volksnot, Vaterland, Kampf, Sieg. Über die Endlichkeit und Vergänglichkeit weisen sie hinaus in den Tod. Das Mysterium des Lebens und Sterbens ergreift uns alle; aber am unmittelbarsten doch den Krieger. Und diese heiligste Ergriffenheit sehnt sich nach der dichterischen Verklärung.

Die Heldentat will das Heldenlied.

(…)Die politische Dichtung ist Immer Absichtsdichtung; die von 1813 war es ganz besonders. Denn das deutsche Volk, das in politischer Schulung hinter den anderen zurückstand, vermochte es noch nicht, in Reden und in Zeitungsaufsätzen auszusprechen, was ihm durch Herz und Sinne ging; es flüchtete ganz in die Poesie. So gewann die deutsche Literatur ein Kapitel, das kein Gegenstück in der Universalgeschichte findet, eine Lyrik, die kriegerisch und politisch wurde und doch nicht aufhörte, Poesie zu sein. Und die Lieder, die entsprangen, blieben nicht zwischen dem Papier liegen; sie wurden in sangbaren Weisen beflügelt. Und wie sie von Mund zu Mund flogen, weilten sie nicht allein bei den Soldaten am Wachtfeuer, schwebten sie nicht nur um die Feldzeichen der Angriffskolonnen – sie lagerten sich in alle Herzen ein, sie wurden Volkslieder und blieben es bis heute.

Der Geist des Jahres 1870 konnte keine Epen, keine Dramen, keine Romane dichten, die Volksgut oder selbst nur ein Schatz von Zitatenwahrheit geworden wären. Auch die Lyrik blieb weit hinter der Freiheitsdichtung zurück. Diese stürmte im Jünglingsschwung daher auf Versen, die wie Schlachtrosse stampften; und jene war das Verstandesprodukt alternder Männer, die in Strophen sprachen. Es fehlte im Jahre 1870 auch der Urgrund, den die Dichter des Jahres 1813 hatten, die große Not.

Nach dem ersten Ausbruch des Unwillens und des gerechten Zornes gegen die Friedensstörer setzte fast ohne Vermittlung jauchzend die Freude und immer wieder die Freude über die schnellen Siege ein. Kein Zweifeln und Verzweifeln, kein Harren und Hoffen, keine Spannung mit ihren vertiefenden Wirkungen unterbrach die Stimmung des Triumphzuges. Als deklamatorische Literatur behaupteten sich einige Gedichte; die paar Töne, die lebendig durch Volk und Heer zogen, hatten Spott und Humor angeschlagen. Das Lied vom König Wilhelm, der ganz heiter zu Ems saß, und das andere von Napolium, der im Busch herumkraucht, diese allein wurden auf allen Gassen und in jeder Kompagnie gesungen und weitergesungen.

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