Des deutschen Volkes Liederschatz

Ein Rundfunkvortrag

Peter Panter (Kurt Tucholsky), (in: Die Weltbühne, 22.03.1927, Nr. 12, S. 465)

Schon Gneisenau, Regierungsrat bei der Filmzensur, hat in seinem ziemlich unsterblichen ›Wolfgang von Goetz‹ darauf hingewiesen, dass das deutsche Volk als das sangesfreudigste der Welt mit Fug angesehen werden kann. Der wahre Gesang ist der Männergesang. Sagt doch bereits die deutsche Bibel für das Wochenende, das Strafgesetzbuch, über die Männergesangvereine so schön: »Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten begeht … «, und auch der Ausdruck ›Rädelsführer‹ deutet ja klar auf den Dirigenten solchen musikalischen Tuns hin.

Aber ach! nicht jeder gehört einem Männergesangverein an; ja, es gibt unter den Deutschen sogar einige, wenn auch wenige verworfene Wesen, die überhaupt keinem Verein angehören. Aber das soll mit Rücksicht auf die zarter Besaiteten unter unsern Hörerinnen hier nicht erörtert werden; diese Menschen gehören in das Gebiet der Psychopathia sexualis. Genug davon. Wenden wir uns von den Verirrungen des Geschlechtslebens mehr heitern Gegenständen zu.

Was zum Beispiel Gertrud Bäumer betrifft, so hat sie, eine gebildete Mitteleuropäerin, das Singen von sogenannten ›Hausgesängen‹, die vorher einen Zensurwolf passiert haben, gestattet – auch ist das Mitsingen dieser Lieder an öffentlichen Orten, Rundfunk-Zapfstellen und andern Bedürfnisanstalten zunächst nicht strafbar. Es ist gewiß von allgemeinem Interesse (Thema am Ende der Einleitung), solche Gesänge an Hand eines kleinen, uns heute vorliegenden Liederbuches einmal wissenschaftlich zu betrachten.

Die deutschen Trällerlieder zerfallen in drei Abteilungen. Da hätten wir zunächst jene, die auf einem Namen beruhn.

Liebe Katharina,
komm zu mir nach China!

ist hier zu nennen, sowie:

Luise – Luise – warum bist du denn so blaß?

gewiß eine berechtigte Frage, wenn man bedenkt, dass auch Luise durch die ihr von den uns im Schmachfrieden von Versailles abgetretenen polnischen Kühen stammende fehlende Milch um ihre beste Manneskraft gekommen sein mag. Deutsche, kauft deutsche Kolonien! Auch:

Wo sind deine Haare, August – August?

ist ein schönes Lied. Zeigt sich doch auch hier die deutsche Überlegenheit deutschen Wesens deutscher Namen: mit dem Vornamen des bekannten Baruch Stresemann wären solche echt deutschen Gesänge nicht zu erzielen gewesen. Hep-hep!

Dies führt uns zur zweiten Abteilung: den romantischen Liedern, die ihrerseits wieder zerfallen in die a) wild-romantischen und b) mild-romantischen. Die wild-romantischen Lieder lauten etwa:

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Volksmusik:
Liederzeit:

Geburtstag heute:

  • Kolping (8. Dezember 1813)

    Der katholische Priester Adolph Kolping wurde am 8. Dezember 1813 in Kerpen bei Köln geboren. Insbesondere Handwerksgesellen lebten damals in tiefer Armut und litten unter sklavischer Arbeitsausbeutung und allgemeiner Verelendung. Nach der Niederschlagung der Märzrevolution 1848/49 gründete er den Kölner Gesellenverein, der Anfang 1850 bereits 550 Mitglieder hatte. Auch in anderen Städten gründeten sich Gesellenvereine; ... Weiterlesen ... ...