Gegen Hurrapatriotismus (1910)

SPD-Abgeordneter Henke (in: Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft vom Jahre 16.3.1910)

Antrag, betreffend die Schulfeiern am Sedantage und zum Geburtstag des Kaisers

Der Abgeordnete Henke begründet den folgenden Antrag der SPD: Die Bürgerschaft ersucht den Senat, die Schuldeputation anzuweisen, die Schulfeiern am Sedantage und zu Kaisersgeburtstag aus dem Lehrplan der Schulen zu streichen.

Herr Henke:“… Was uns in der Hauptsache veranlaßte diesen Antrag zu stellen, ist die Art und Weise, wie die patriotischen Gedenkfeiern in der Schule begangen werden. Es ist unsere Pflicht, auf die Beseitigung solcher Gedenkfeiern, die nicht unserer Weltanschauung entsprechen, zu bestehen.

Es ist heute gar nichts dagegen angeführt worden daß wir es als unsere Pflicht ansehen, daß den Kindern in der Schule nichts gelehrt wird, was mit der Weltanschauung der Eltern nicht im Einklang steht. Das trifft auch zu auf den Patriotismus und die Vaterlandsliebe. Herr Senator Buff sagte bei der jüngsten Verhandlung des Disziplinargerichts, daß die patriotischen Gedenkfeiern auf Wunsch der Bürgerschaft und des Senats eingesetzt seien, um die Kinder patriotisch und vaterländisch zu erziehen.

Über diese Begriffe denkt nicht nur die Sozialdemokratie anders wie Sie, sondern darüber gehen in Ihren eigenen Reihen die Meinungen sehr weit auseinander. Wir sind in der Lage, die besten Geister, die auf Ihrer Seite stehen, für uns anzuführen. Was in den Schulen als Vaterlandsliebe ausgegeben wird, kann es ja sein; aber wenn es in dem Geiste mitgeteilt wird, wie es in den öffentlichen sogenannten patriotischen Gedenkfeiern zum Ausdruck kommt, dann hat es mit Vaterlandsliebe nichts gemein.

Den bürgerlichen Patriotismus und die bürgerliche Vaterlandsliebe kennen wir. Sie entspringen aus den Profitinteressen. Die bürgerlichen Kreise haben ein Privatinteresse, das sie antreibt patriotisch zu sein. Der bürgerliche Patriotismus ist auch zur Quelle des Militarismus geworden. Ich bin nicht der Meinung,daß Sie mir zustimmen werden (Nein!), das eine können Sie aber nicht bestreiten, daß Tolstoi und eine Reihe anderer Gelehrter nicht für solche Schulfeiern sein würden, eben deshalb nicht, weil sie einen ändern Begriff vom Patriotismus haben, als er im allgemeinen im Bürgertum im Gebrauch ist.

Dieser Patriotismus entstammt den Profitinteressen, dafür könnte ich eine Reihe Beispiele anführen. Wenn Sie bedenken, was große.Firmen, was große Kapitalisten sich in der Hinsicht geleistet haben, man hat das mit dem Ausdruck Prozentpatriotismus bezeichnet, dann beweist das die Richtigkeit dessen, was ich gesagt habe. Ich könnte Ihnen Beispiele liefern, daß das Interesse an dem Ausbau des Militarismus und das Interesse an den Kriegen und von der Verelendung der Arbeiter – nicht nur der relativen, sondern auch der absoluten – konform geht mit dem Patriotismus der bürgerlichen Kreise.

Blättern: weiter »

Siehe dazu auch:

Volksmusik nach Themen

Jazz in Deutschland - Kriegserziehung im Kaiserreich - Kriegslieder - Lied und Erster Weltkrieg - Linktipps - Neuigkeiten - Volkslied-Forschung - Verschiedenes - Volksliedbücher - Volkslieder - Volksmusik Praxis -