Vorwort: Kindergärtlein 2 (Naive Inhalte)

Heinrich Weikert (in: Kindergärtlein (1843))

Warum will man diesem Winke der Natur nicht folgen ? Man darf ja nur einen Blick auf das natürliche Kind tun, um gewahr zu werden, daß ein ganz anderes Leben in ihm das Übergewicht hat als das jenige ist, welches aus der Wechselwirkung mit der uns umgebenden Erscheinungswelt und der daraus gebildeten Reflexion entsteht. Das Leben des natürlichen Kindes bis zu seinem fünften oder sechsten Jahre ist dem größten Teile nach eine innerliche Tätigkeit, ein phantasierendes Traumleben, welches bei lebhaften Kindern oft genug in Worte übergeht.

Sie erzählen Geschichten und wollen Dinge gesehen und gehört haben. die aus der sie umgebenden Wirklichkeit gar nicht können erklärt werden- Ihre innere Erscheinungswelt und die äußere Erscheinungswelt fließen und schmelzen unzählig oft zusammen. Die Kinder sind wachende Nachtwandler. Aus diesem inneren Traumleben löset sich der Geist des Kindes, wenn er sich natürlich entwickelt erst allmählig los, ohne jedoch sich auf immer von diesem Urgrunde seines Daseins ganz loszureißen.

Die Erinnerung an die seligen Räume, in denen der Geist in den ersten Jahren der Kindheit gewohnt hat und an die freie und heitere Bewegung darin, die noch von keinem Gesetze des Raumes und der Zeit beschränkt und gehindert wurde, bildet in späteren Jahren noch die wehmütige Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese der Kindheit, spornt dazu an, ein anderes Paradies wieder zu gewinnen. Zu dieser sanften und allmähligen Ablösung von der inneren Traumwelt, sind die Wiegenlieder, die Mutterscherze und die Ammenmärchen die einzigen von dem höheren Geiste, der über die Menschheit waltet, selbst bestimmten und erschaffenen Mittel.

Sie spielen noch durch die ungebundene schreckenlose Bewegung der Vorstellungen in die Traumwelt des Kindes hinein, aber sie haben auch schon die Erscheinungswelt im Auge und ziehen dieselbe in ihren Kreis. Musik. Rhythmus, Reim und die phantastische Zusammenwürfelung von Vorstellungen, gehören jener inneren Traumwelt an, die Vorstellungen selber aber der wirklichen Erscheinungswelt.

Mit diesen zarten Fäden knüpft die Mutter leise und unvermerkt die beiden Welten zusammen, an diesen Fäden leitet die Mutter das phantasierende Traumleben des Kindes in das Verstandesleben hinüber, was wir Erwachsenen ja schon darum anerkennen müssen weil uns diese Lieder Märchen und Scherze aus dem reflektierenden Denken wieder in das tiefere Gefühls und Ahnungsleben unserer Kindheit zurückleiten. Denn wer kann sich der wunderbar süßen unerklärlich wehmüthigen und wonnigen Wallungen seines Gefühles erwehren, wenn er die Lieder wieder singen hört, mit denen er eingesungen worden ist und die Märchen und Scherze wieder erzählen hört, die ihm den Morgen seines Lebens erheitert und bunt gefärbt haben.

Dazu sind in diesen anspruchslosen Erzeugnissen des menschlichen Geistes, weise Lehren, wirksame Predigten, erheiternde Poesie wie in einem Keime enthalten. Mit inniger Kraft aus der Tiefe des lebendigen Geistes ergreifen sie das noch ungeteilte Gemüt des Kindes und ziehen es sanft und gelind auseinander, damit es so allmählig zur Erreichung der vielseitigen Menschenbestimmung fähig werde. Religion, Erkenntnis, Sittlichkeit und Schönheitsgefühl haben gleich großen Gewinn an diesen unscheinbaren Kleinigkeiten. Wer daran zweifelt, der bedenke nur die Reizbarkeit und Empfänglichkeit der zarten Kinderseele. Ein Wort, eine Wendung, eine Anspielung, muß ja auf diese weiche Tafel einen tiefern und bleibenderen Eindruck machen, als eine Predigt oder eine philosophische Abhandlung oder ein Shakespearsches Drama auf einen Erwachsenen, dessen Reizbarkeit schon abgestumpft zu sein pflegt.

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