Die Macht des deutschen Liedes im gegenwärtigen Kriege (1916)

Professor Dr. Hermann  Tardel , Gymnasiallehrer und Volkskundler (in: Preußische Jahrbücher , Jg. 1916, S. 75 f)

Wie bei der Ankündigung der Mobilmachung nach der vorangegangenen unheilschwangeren Zeit der Ungewißheit die alten Nationallieder überall in Massenchören gen Himmel schallten, wie die ausrückenden Truppen in der Heimat und auf jeder Station selbst singend mit brausendem Gesang empfangen wurden, wie die ersten Siegesnachrichten immer wieder zu vaterländischem Gesang begeisterten, das haftet in der Erinnerung jedes Einzelnen, der diese unvergleichliche Zeit miterlebte. Für unsere in Belgien einmarschierenden Truppen war das erste Überschreiten der Grenze gewöhnlich ein besonders weihevoller Augenblick, der ein dreifaches Hurra und ein Lied auslöste.

Als Massenerscheinung trat dann die Wirkung unseres Gesanges bei der Besetzung Brüssels und Namurs wunderbar zu Tage. Der Einzug starker Teile der Kluckschen Armee in die belgische Hauptstadt war im Grunde ein Durchmarsch, denn die Truppen zogen in Eilmärschen gegen die Engländer unter French, und daher erlebten die erschreckten Brüsseler den seltenen Anblick, daß sich unsere Feldgrauen in endlosen Zügen strammen Schritts und wie auf Märschen meist singend durch ihre Straßen ergossen, in der Dämmerung und während der Nacht ein geisterhaftes Bild. „Die Infanteristen“, schreibt ein Augenzeuge, H.R. Davis, in der New York Tribüne, „sangen:

Lieb Vaterland. Zwischen jeder Zeile machten sie drei Schritte Pause. Zuweilen sangen 2000 gleichzeitig, vollkommen in Takt und Schritt. Wenn eine Pause im Liede war, hörte man nur das Stamp-fen der genagelten Stiefel, dann erscholl der Gesang von neuem, und wenn sie nicht sangen, spielten die Spielleute“.

Wie spontan für einzelne Abteilungen das Lied hervorbrach, beschreibt ein Unteroffizier W.B.:“ Von einem öffentlichen Gebäude grüßt uns die erste deutsche Flagge; mit donnerndem Hurra wird sie begrüßt. Und nun fängt einer an zu singen: Es braust ein Ruf wie Donnerhall! Das macht alles wieder gesund, das herrliche Schlachtenlied! Wie fliegen die Beine, wie leuchten die Augen!“ Die englische Presse hat mehrfach von dem überwältigenden Eindruck des singend marschierenden deutschen Heeres berichtet, die Tagebuchblätter der damals in Belgien weilenden Herzogin von Sutherland enthalten schöne Stellen darüber….

Ganghofer beobachtete den Ausmarsch zweier Bataillone des bayrischen Leibregiments: „So finster war es, daß ich einzelne Gestalten nicht auszunehmen vermochte. Nur die großen, dichten Menschenklumpen unterschied ich.Das einzig Helle und deutlich Sichtbare waren die wehenden Glutfunken der Zigarren und Pfeifen. Immer sangen die Soldaten; immer das gleiche Lied: „In der Heimat, in der Heimat, da gibt´s ein Wiedersehen!“

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  • Roquette (18. März 1896)

    Noten dieses Liedes
    Otto Roquette, geboren am 19. April 1824 in Krotoschin bei Posen, gestorben am 18. März 1896 in Darmstadt, pseudoromantischer Lyriker, typischer Vertreter der „Butzenscheibenlyrik“. Seine Werke wurden nach 1850 außerordentlich populär und erfreuten sich vor allem in konservativen Kreisen großer Beliebtheit. Nachrevolutionärer Modepoet, in bewusster Abkehr von der politischen Lyrik des Vormärz. Sein Versepos „Waldmeisters ... Weiterlesen ... ...