Et wasen twe Kunnigeskinner

aus dem Westfälischen

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Et wasen twe Kunnigeskinner

Et wasen twe Künigeskinner
De hadden enanner so leef
Se kunden bisammen nich komen
Dat Water was vel to deef

Leef Herte, kannst du der nich swemmen?
Leef Herte, so swemme to mi
Ick will di twe Keskes upstecken
Un de sallt luchten to di

Dat hörte ne falske Nunne
in ere Slapkammer, o weh
Se dede de Keskes utdämpen
Leef Herte bleef in de Se

Et was up en Sunndages Morgen
De Lüde twern alle so froh
Nich also de Kunnigesdochter
De Ogen de satten he to

O Moder, sede se, Moder!
Mine Ogen dot mi der so we
Mag ick der nich gan spazeren
An de Kant van de ruskende Se?

O Dochter, sede se, Dochter!
Allene sallst du der nich gahn
Weck up dinen jungesten Broder
Un de sall mit di gahn.

Min allerjungste Broder
dat is noch so´n unnüsel Kind
he schüt wol alle de Büglkes
De an de Seekante sind

Un schüt he ock man de wilden
Un leet de tamen gahn
So segget doch alle de Lüde
Dat het dat Kunnigskind dahn

O Moder, sede se, Moder
Min Ogen dot mi der so weh
Mag ick der nich gahn spazeren
An de Kant van de ruskende See?

O Dochter, sede se, Dochter!
Allene sallst du der nich gahn
Weck up dine jungeste Suster
Und de sall mit di gahn

Mine allerjungeste Suster
dat is noch so´n unnüsel Kind
se plückt ja alle de Blömkes
De an de Seekante sind

Un pflückt se ock man de wilden
Un leet de tamen stahn
So segget doch alle de Lüde
Dat het dat Kunnigskind dahn

O Moder, sede se, Moder!
Min Herte dot mi der so we
Lat annere gahn na de Kerken
Ick bet an die ruskende See

Da satt de Kunnigesdochter
Upt Hoeft ere goldene Kron
Se stack up eren Finger
En Ring van Demanten so schön

De Moder geng na de Kerken
De Dochter geng an de Seekant
Se geng der so lange spazeren
Bes se den Fisker fand

O Fisker, leveste Fisker
Ju könt verdenen grot Lohn
Sett mi ju Nettkes to Water
Fisk mi den Kunnigesohn!

He sette sin Netkes to Water
De Lotkes sunken to Grund
He fiskde un fiskde so lange
De Kunnigssohn was sin Fund

Da nahm de Kunnigesdochter
Vant Hoeft ere goldene Kron
Sieh da, woledele Fisker
Dat is ju verdeente Lohn

Se trok van erenm Finger
Den Ring van Demanten so schon
Sieh da, woledele Fisker
Dat is ju verdeente Lohn

Se nahm in in ere Arme
Den Kunnigessohn, o weh!
Se sprang mit em in de Wellen
O Vader o Moder, ade!

Diese Fassung als „aus Münster “ in Deutscher Liederhort (1856, Nr. 21a) , Aus dem Münsterland nach mündlicher Überlieferung. „Aus Westfalen“ in Zupfgeigenhansl (1908) und als  „Aus dem Paderbornschen“ in Alte und Neue Lieder , ca 1910 ( Paderborn )

Liederthema: ,
Liederzeit: vor 1829 : Zeitraum:
Orte:
Geschichte dieses Liedes:

Zur Geschichte dieses Liedes:

Parodien, Versionen und Variationen:

„Die Sage von den zwei Königskindern oder die Schwimmersage, welche in einer Reihe zusammengehöriger Volksballaden auftritt , ist nach ihrem Inhalte uralt. Diese Balladen , welche das unglückliche Geschick eines Liebespaares erzählen, bringen dieselbe Geschichte, die von Hero und Leander erzählt wird. Somit ist der Stoff aus dem hellenischen Altertum im Mittelalter in der Leute Mund gekommen und Vermittelung durch Gelehrte und Kunstdichter nicht anzuzweifeln:

Der Stoff wurde nach gekannten griechischen Quellen vermutlich durch provenzalische und nordfranzösische Dichter nach Deutschland getragen. In Deutschland muss die Sage wenigstens seit dem 12. Jahrhundert gekannt gewesen sein und scheint, dass sie vom Meere her eingebracht und nach dem Süden verpflanzt wurde, da die meisten hochdeutschen Texte scheinbar aus dem niederdeutschen hervorgegangen sind.

Lieder über diese herrliche Sage finden sich seit dem 15. Jahrhundert und bis jetrt in Nord- und Süddeutschland verbreitet. Sie beginnen: „Es waren zwei Königskinder“, „Ach Mutter, liebe Mutter“, „Ach Elslein, liebes Elselein“ …

Aber auch in Holland , Dänemark und Schweden wird das Lied von den unglücklichen Königskindern gesungen. Die Zeit hat das Gewand der Sage nach ihrer Sprache und die Wendungen geändert, und die Sage je nach dem neuen Lande und fremden Boden und Klima umgebildet.

Im 12. oder 13. Jahrhundert haben niederrheinische Kolonisten die Sage nach Mähren in das Kuhländchen verpflanzt. Hier wurde das Lied nicht nur mundartlich umgestaltet, sondern auch die Erinnerung an das Meer ist erloschen: die Königstochter der alten freien Sachsen ward hier zu einem Landmädchen der Kolonie verwandelt, und statt „an die kant van de rustende See“ zieht sie in den Grunwald und der Jüngling ertrinkt im Waldbache.

In der Schweiz hat sich die uralte, mythologische Sage, welche den klassischen Namen „Hero und Leander“ trägt, an mehreren Seen lokalisiert, besonders am Hallwyler See (Kanton Aargau) in dem Liede: „Es wend zwoi Liebi zsäme“ ( s. Rochholz, Aargauersagen II, 33 ) .

Die griechische Sage erzählt von Hero und Leander, die deutsche und skandinavische lassen die liebenden Königskinder ohne Namen .

Hero, eine schöne Jungfrau und Priesterin der Aphrodite zu Sefostes am Hellespont, liebte den schönen Leandros aus dem kleinasiatischen Abhdos, einer Stadt jenseits des Hellespont, gegenüber dem Orte seiner Geliebten. Um zu ihr zu gelangen, musste er stets den Hellespont durchschwimmen; in einer stürmischen Nacht kam er in den Fluten ums Leben. Da stürzt sich seine verzweifelnde Geliebte ins Meer

Dass die Sage sogar bis nach Indien hinaufreiche und dort am Gestade des Chinab und Pendschab im Volksmunde noch Lieder leben sollen, die das Unglück der Liebenden Hîr und Rângha, ähnlich dem von Hero und Leander, besingen ist ein Irrtum, den R. Köhler 1879 in der Zeitschrift f. d. Altertum ( Anzeiger Ser . VI. S. 265) zurückgewiesen . Diesen in deutschen Büchern nachgeschriebenen Irrtum hat zuerst der Orientalist Garcin de Taffy in seiner Übersetzung des hindostanischen Romans „Les Aventures de Kamrup“ , Paris 1834 p . II ausgesprochen, aber später in seiner Übersetzung des Romans Hir und Randscha 1857 widerrufen und erklärt, dass die Sage von diesem indischen Liebespaar mit der von Hero und Leander nicht identisch sei.“

(in: Erk / Böhme: Deutscher Liederhort I, 1894, Nr. 83 ff)

Abweichungen im Text

Fast übereinstimmend in Schleswig – Holstein: Müllenhoff S. 609 , aber Str. 2 – 4 und 13 u. 14 fehlen. Anfang: „Et weren twe Königskinner, de hadden eenander so leev ; se konden to enander nicht kommen, dat Water was ja so deep.“

Textvarianten und Worterklärungen:

  • 1. Et wassen (wören), es waren. twee, zwei. leif, lieb. deip, tief. –
  • 2. Hierte, Herze. der, ein Flickwörtchen ähnlich dem: es. (Vgl. S. 28.) Keskes, Kerzchen. löchten, leuchten. –
  • 3. uutdömpen, auslöschen. bleif, blieb. –
  • 4. Lüede, Leute. wörn, waren. seiten, saßen. –
  • 5. seide, sagte. doet, thun. ruskende, rauschende. –
  • 6. sall, soll. –
  • 7. unnüesel, (unnosel), unschuldig – unverständig. Kante, Rand. –
  • 8. auk, auch. men, nur. lött, laßt. tammen, zahmen. segget, sagen. het, hat. daohn, gethan. –
  • 11. schütt, schießt. –
  • 13. tor Kierken, zur Kirche. ik beid, ich bete. –
  • 14. satt, setzte. upt Höeft, auf das Haupt. ere, ihre. stack, steckte. schon, schön. –
  • 15. genk, gieng. bes, bis. –
  • 16. ji, ihr. jue, eure. –
  • 17. Lothkes, kleine Senkbleie. sünken, sanken. –
  • 18. vont, von dem. –
  • 19. trock, zog.

Anmerkungen zu "Et wasen twe Kunnigeskinner"

Gleichlautend aus dem Paderbornschen in „Volksgesänge“ von Baumstark und Zuccalmaglio, 1829, S. 10, mitgeteilt von W. von Harthausen . Nach derselben Quelle bei Reifferscheid, westfälische Volkslieder, Nr. 1. Wenn von Harthausen behauptet: zur 3. Strophe (Tod des Jünglings) sei dieselbe Weise in Moll gesungen worden, so wäre das ja möglich, mag aber selten geschehen sein; denn solches Durchkomponieren kennt und liebt das Volk nicht, sondern singt Heiteres und Tragisches zu Durmelodien.

Dieser niederdeutsche Text verdient vor allen den Vorzug, weil er unbezweifelt älter als der hochdeutsche ist. Auch der geheimnisvolle Gleichklang , der zwischen der wilden, nur mit Mühe unterdrückten Stimmung und der rauschenden See angedeutet ist und wieder die unheimliche Ruhe, mit der die Auffindung des Königssohns beschrieben ist, geben dem Liede einen unsäglichen Zauber. Gegenüber diesen beiden Momenten tritt das Ereignis selbst, der Untergang des Königssohnes, zurück .

Vor Str. 8 und 12 mag etwas fehlen: die Einrede der Mutter, dass die Schwester doch nur die wilden Blumen, der Bruder die wilden Vögel schießen werde, worauf dann die Tochter mit Str. 8 und 12 antwortet. Ebenso fehlt nach 12. Str. die Aufforderung der Mutter, zur Kirche zu gehn, worauf sie mit Str. 13 antwortet: Laß Andere gehn zur Kirche! Ich bete an der rauschenden See. Die falsche Nonne ( Str . 3) zeigt, dass die Textfassung einer Zeit entstammt, als der Gegensatz zwischen protestantisch und römischer Kirche schon vorhanden war. Wenn in neuern Texten gar falsche Nixe dafür gesetzt wird, so ist das wohl Verirrung. Auffallend jedoch bleibt der verwandte Ausdruck „Hexe“ im Schweizertext ( s. unten 84 ) .(Böhme)

"Et wasen twe Kunnigeskinner" in diesen Liederbüchern

Ähnliche Texte aus dem Paderbornschen durch Werner von Harthausen bei Mone, Anz. VI, Sp. 164 (1837) . Nach einem münsterschen Text von Frl. Droste-Hülshof bei Uhland Nr. 91. Wenig abweichend aus dem Paderbornschen: Reifferscheid, westfälische Volkslieder Nr. 1. Melodie aus dem Münsterschen : hier nach Erk’s Liederhort, auch Erk II, 4/5 , S. 109.