Wo soll ich mich hinwenden in dieser schlechten Zeit

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Wo soll ich mich hinwenden bei der betrübten Zeit
An allen Orten und Enden ist nichts als Krieg und Streit
Rekruten fanget man, so viel man haben kann;
Soldat muss alles werden, sei einer Knecht oder Mann
Soldat muss alles werden, es sei Knecht oder Mann.

Mit List hat man mich g’fangen, als ich im Bette schlief
Da kam der Hauptmann gegangen, ganz leise auf mich griff
Ei Bruder, bist du da? Von Herzen bin ich froh
Steh nur auf, Soldat musst werden, das ist nun einmal so

So bin ich nun gefangen, mit Eisen angelegt
Als wär ich durchgegangen, so hat man mich belegt
Ach Gott, verleih Geduld, ich bitt um deine Huld!
Mein Schicksal will ich tragen, vielleicht hab‘ ich’s verschuld’t

Der König hat’s beschlossen zu streiten für sein Land
viel Kinder werden erschossen durch der Feindlichen Hand
das ist des Krieges Lauf: Rekruten hebt man auf
viel tausend Kinder müssen ihr Leben geben drauf

Dem König muss ich dienen, solang ich’s Leben hab
wird‘ ich einmal erschossen, wirft man den Leib ins Grab
allwo in einer Schicht – ach Gott, erbarme dich! –
Viel Kamerad begraben; vielleicht betrifft’s auch mich!

Man hört Kanonen knallen, dass es die Luft erschallt
Viel tausend Brüder fallen, verlieren ihr‘ Gestalt
seufzen in ihrem Blut, das stromweise fließen tut
müssen den Geist aufgeben; o du unschuldig’s Blut

Ade nun, Vater und Mutter, ade mein lieber Freund
Muss mich zur Reis‘ begeben, zur Residenz noch heut
Der Himmel schütze euch! Wenn ich im Felde bleib
betet für meine Seele, dass sie komm‘ ins Himmelreich

Ach Vater, Schwester Bruder, stellt euer Weinen ein
Es kann nichts anderes helfen, Soldat muss ich jetzt sein
´s regiert in der Welt die Falschheit und das Geld
der Reiche kann sich helfen, der Arme muss ins Feld

Der Vater weint um seinen Sohn, die Mutter um ihr Kind
das Weib betrauert seinen Mann, seil sie geschieden sind
die Schwester um den Bruder, die Kinder um den Vater
das ist ein Lamentieren, dass man nicht hören kann

Mein Schätzlein steht von weitem, schaut mich ganz traurig an
Ich sag es allen Leuten, was sie mir Gut´s getan
Ob ich gleich fortmarschier, bleibt doch mein Herz bei dir
Und bis zum Tod ergeben, gib mir das dein´ dafür

Noch einen Kuss wirst geben zum Zeugnis deiner Treu
Ich geb‘ dir zwei dagegen und liebe dich aufs neu
Leb wohl, denk oft an mich! Und glaube sicherlich
Wenn ich einst wiederkomme, gewiss heirat ich dich.

Man hört die Vöglein singen, die liebliche Musik
Ich wünsch vor allen Dingen ein angenehmes Glück
Leb wohl, denk oft an mich! Und glaube sicherlich
Wenn ich einst wiederkomme, gewiss heirat‘ ich dich

Text und Musik: Verfasser unbekannt, die Melodie schon um 1792
Diese Fassung bei  F. W. von Ditfurth, Fränkische Volkslieder, Teil II, Die weltlichen Lieder, 1855
Version B bei Steinitz, Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters (1955, Nr. 133)

Anmerkungen zu "Wo soll ich mich hinwenden in dieser schlechten Zeit"

Bei Erk I (1856, „Ein sehr beliebtes Volkslied aus dem Bergischen, Clevischen und vom Hunsrück„) —  Zahlreiche Aufzeichnungen, auch aus Ungarn. Das Lied ist oft als fliegendes Blatt erschienen.

Für mehrere fliegende Blätter ist bezeichnend, dass die Verse: „´s regieret in der Welt / die Falschheit und das Geld / der Reiche kann sich helfen / der Arme muss ins Feld“  fehlen – also offenbar vom Verleger weggelassen oder von der Zensur gestrichen worden sind…. Gerade diese klare, bewußte und offene, demokratisch-oppositionelle Strophe hat sich aber im Volksgesang zäh bis in den Ersten Weltkrieg hinein erhalten und ist in andere oppositionelle Soldatenlieder übernommen worden: „Der helle Tag bricht an“ und  „Mit jammervollem Blicke (Der Bettelsoldat)“ ( zitiert nach Steinitz, S. 328 ff, auch alle Angaben)

Die erste Strophe lehnt sich an das mittelalterliche Schlemmerlied „Wo soll ich mich hinkehren“ an, die Melodien haben aber keinen Bezug, wie Steinitz betont.

Nicht selten werden nur drei Strophen gesungen:

Wo soll ich mich hinwenden in dieser schlechten Zeit
An allen Orten und Enden ist nichts als Hass und Streit
Rekruten fanget man, soviel man haben kann –
Soldat muss alles werden, sei einer Knecht oder Mann
Soldat muss alles werden, sei einer Knecht oder Mann

Der Kaiser hat beschlossen, zu ziehn in fremdes Land
Viel Krieger werden erschossen, getroffen von Feindes Hand
Das ist der Kriege Lauf, Regenten steigen auf –
Vieltausend von uns müssen ihr Leben geben drauf
Vieltausend von uns müssen ihr Leben geben drauf

Ade nun Vater und Mutter, ade mein lieber Freund
Muss mich zur Reise bequemen, noch auf die Festung heut
Denn es regiert die Welt nur Falschheit und das Geld –
Der Reiche kann sich helfen, der Arme muss ins Feld
Der Reiche kann sich helfen, der Arme muss ins Feld

"Wo soll ich mich hinwenden in dieser schlechten Zeit" in diesen Liederbüchern

Ebenfalls abgedruckt bei Walter (1841, 12 achtzeilige Strophen) — Wolfram, Nassau — E. Meier, Schwäbische Volkslieder — Hartmann, Histor. III ( 7 achtz. Str. Salzburg, handschriftlich und mündlich, auf den österreichischen Kaiser bezogen, wohl 1859 — C. Müller: Deutsche Volksdichtung in der Oberlausitz, Löbau 1901 (6 achtz. und 1 vierz. Str.) — Schuhmacher, Soldatenlied (Nr. 478, 1914 kaum noch gesungen, aber im Ersten Weltkrieg belegt) — Jungbauer-Horntrich ( Nr. 184, 7 achtz. Str., 1914 in Libinsdorf bei Chotebor aufgezeichnet) — Pinck, Lothrin. III ( aus einem Liederheft, 9 vierz. Str. Anfang: „Rekruten fanget man..“, Schlusstrophe: „Das regiret in der Welt die Falschheit….“ — E 1273 Glatz, Schlesien, 1840, nur Str. 1 (V4. Nichts als lauter Haß und Neid) usw….. Deutsche Soldatenlieder (1914, zwei Fassungen a) „aus der Zeit der Aushebung. Vor 1814, vor Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen entstanden.“ Gleiche Melodie wie „tumbes Brüderlein“ und b) aus Tirol, drei Strophen-Fassung und  zweite Melodie)