Liederlexikon: Ditfurth

| 1801
Ditfurth
Ditfurth

Franz-Wilhelm Freiherr von Ditfurth : Forscher und Sammler auf dem Gebiete des deutschen Volksliedes, wurde am 7. October 1801 auf dem väterlichen Gute Dankersen bei Rinteln geboren. Sein Vater war kurhessischer Landrath und Vorstand der Schaumburger Ritterschaft; seine Mutter starb 1808 bei der Geburt seines jüngsten Bruders, der die Reihe von 21 Geschwistern abschloß, von denen aber nur noch 14 am Leben waren. Vielbeschäftigt, wie der Vater theils in seiner amtlichen Stellung, theils mit seinen großen Oekonomiegütern war, konnte er seinen jüngsten Kindern wenig, Aufmerksamkeit widmen, und diese wuchsen denn unter der dürftigen Pflege von Haushälterinnen und der mangelhaften Erziehung von Hauslehrern ziemlich verwildert heran.

In Franz Wilhelm v. D. zeigte sich schon frühzeitig ein entschiedener Hang zur Musik; es fand sich aber keine Gelegenheit, ihm darin Unterricht zu ertheilen. Im J. 1815 starb der Vater. Zwei Jahre später kam der Sohn mit seinem jüngeren Bruder auf das neu gegründete Gymnasium in Rinteln, wo er sich durch Fleiß und Betragen, insonderheit aber durch seine Leistungen im Chorgesange auszeichnete, in welchem Zweige der Musik er hier auch den ersten Unterricht erhielt. 1820 bezog D. die Universität Marburg, um die Rechte zu studiren. Mehr mit Musik und Poesie beschäftigt, später in allerhand studentische Verbindungen und Händel verwickelt, ward dem Berufsstudium wenig Zeit gewidmet, bis endlich ein angedrohtes consilium abeundi diese Gährungsperiode abschloß und anhaltender Fleiß das Versäumte nunmehr nachholte. Im Herbst 1825 verließ D. die Universität, um sich in Kassel zum Examen vorzubereiten. Dort kam er sehr bald mit Spohr und andern Musikern in Berührung, und auf ihren Rath beschloß er, seiner Neigung zu folgen und sich gänzlich der Musik zu widmen. Er that dies um so lieber, als ohnehin wenig Aussicht in der juristischen Laufbahn war.

Damals herrschte die Reichenbach allmächtig in Kurhessen, und wer ihr nicht zu Füßen lag, war wie geächtet. Auch die Familie des älteren Bruders Ditfurth’s, bei dem er wohnte, war in Ungnade gefallen und somit auch für ihn jede Hoffnung auf eine Anstellung im Staatsdienste abgeschnitten. D. ging nun nach Leipzig und begann bei Moritz Hauptmann Musik zu studiren. Während dieser Zeit ward er mit dem Geheimrath v. Appell und mit Dr. Großheim bekannt, von denen er die [727] vielen schönen Volkslieder aus der Zeit des siebenjährigen Krieges erhielt, welche ihn zuerst auf die historischen Volksdichtungen hinwiesen, deren Sammlung ihn in der Folge bis an sein Lebensende beschäftigte. Im J. 1830 siedelte D. nach Unterfranken über, wo sich sein Bruder in dem schönen Theres angekauft hatte. Hier gewann er bald die reichgesegnete, schöne Gegend und die ländliche Beschäftigung so lieb, daß er länger dort verweilte, als er zuerst beabsichtigte. Gleichzeitig eröffnete sich ihm im dortigen Volksgesange ein so ergiebiges neues Feld, daß er immer tiefer und emsiger in das Sammeln der Volkslieder gerieth, wobei ihm seine musikalischen Kenntnisse doppelt zu Statten kamen. Durch seine Bekanntschaft mit Gottfried v. Tucher, dem ausgezeichneten Musikforscher, ward er auf das Gebiet der alten Musik geführt, und brachte er eine Reihe der schönsten Werke alter Niederländer, Italiener, Spanier, Franzosen und Deutschen aus den Originalstimmen des 16. und 17. Jahrhunderts in Partitur, sowie fast alle wichtigsten Chorwerke deutscher Meister jener Zeit.

Auch eigene Dichtungen wurden nicht versäumt: es entstanden eine Menge Balladen und lyrische Poesien, von denen indeß nur wenige in Zeitschriften veröffentlicht wurden. So vergingen Jahre, in welchen er zwischendurch längere Zeit auch in Coburg, Würzburg, Bamberg, Berlin, Kassel, Stuttgart und Leipzig verweilte. In Leipzig gab er 1855 die „Fränkischen Volkslieder mit ihren zweistimmigen Weisen“ heraus und vermählte sich in demselben Jahre mit Thekla, der Tochter des Leipziger Buchhändlers Wallis, worauf er seinen Wohnsitz in München nahm. Hier entstand sein Trauerspiel „Judith“, das bei einer Preisconcurrenz unter den sieben besten genannt wurde. Im J. 1859 zog D. auf Veranlassung des Gründers des Germanischen Museums nach Nürnberg, um das Fach der alten Musik zu übernehmen, sah sich aber in seinen Erwartungen bitter getäuscht. Seit dieser Zeit hat ihn eine lange Kette von Verlusten und Widerwärtigkeiten aller Art betroffen, die seine Lage oft zu einer recht gedrückten machten, da auch von größeren litterarischen Arbeiten trotz aller Bemühungen nichts zu verwerthen war und sein eigenes Vermögen allmählich zugesetzt werden mußte.

Erst im J. 1869 gelang es, einen Theil der viele Jahre lang gesammelten Volkslieder, die „Einhundert historische Volkslieder des preußischen Heeres von 1675 bis 1866“ (1870) herauszugeben, und da dieses Werk von der gesammten Presse mit dem allgemeinsten Beifall aufgenommen wurde, so konnte D. mit einer freudigen Genugthuung dem Volke auch noch weitere Sammlungen darbieten, wie

  • Die historischen Volkslieder des bayrischen Heeres von 1620–1870“ (1871),
  • „Die historischen Volkslieder des 7jährigen Krieges von 1756–1763“ (1871),
  • „Die historischen Volkslieder der Freiheitskriege von 1812–1815“ (1871),
  • „Die historischen Volkslieder vom Ende des 7jähr. Krieges bis zum Brand von Moskau“ (1872),
  • „Die historischen Volkslieder von der Verbannung Napoleons nach Elba bis zur Gründung des Nordbundes, 1815–1866“ (1872),
  • „Historische Volkslieder und volksthümliche Lieder des Krieges 1870–71 (II, 1872),
  • „Deutsche Volks- und Gesellschaftslieder des 17. und 18. Jahrh. Wort und Weise gesammelt“ (1872),
  • „52 ungedruckte Balladen aus dem 16., 17. und 18. Jahrh. Aus fliegenden Blättern, handschriftlichen Quellen und mündlicher Ueberlieferung“ (1874),
  • „110 Volks und Gesellschaftslieder des 16., 17. und 18. Jahrhundert-S“ (1874),
  • „Die historischen Volkslieder des österreich. Heeres von 1683–1849“ (1874),
  • „Hundert unedirte Lieder des 16. und 17. Jahrh. mit ihren zweistimmigen Singweisen“ (1876),
  •  „Fünfzig ungedruckte Balladen und Liebeslieder des 16. Jahrh. mit den alten Singweisen“ (1877)
  • „Alte Schwänke und Märlein. Neu gereimt“ (1877),
  • „Die historischen Volkslieder vom Ende des 30jähr. Krieges 1648 bis zum Beginn des 7jähr. Krieges 1756“ (1877).

An eigenen Dichtungen gab D. noch heraus „Ein Pilgerstrauß“ (1870) und „Kreuz und Schwert. Zeitklänge aus den Jahren 1870 und 1871 (1871). Beide Sammlungen enthalten zwar Poesien von großer Kraft und Schönheit, sind aber in den Tagen des Krieges fast unbeachtet geblieben. D. starb in Nürnberg am 25. Mai 1880.

Artikel „Ditfurth, Franz Freiherr von“ in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), ab Seite 726, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource