Ich bin nur Schäferin Hannchen
Nicht häßlich und nicht schön
Doch schwerlich tauscht ich mit manchen
Die stolz ihr Köpfchen drehn
Laß manche prunken und scheinen
Ich schmücke mich nur leicht
Mit selbstgesponnenen Leinen
Geblümt und hell gebleicht

Wann Tau am Grase noch blitzet
Treib ich weil Hurtig bellt
Vom Halmenhute beschützet
Des Vaters Herd ins Feld
Die Schäfchen blocken und grasen
Wo Klee und Quendel blüht
Ich strick auf schattigem Rasen
Und sing ein Schäferlied

Am Mittag deck ich zum Mahle
Den Rasen weich und fein
Mit Spielbaumlöffel und Schale
Und schmause ganz allein
Die Mutter füllte die Taschen
Mit reifer Gartenfrucht
Und Felderdbeeren zum Naschen
Glühn rlngsher ungesucht

Von Kräutern Büschen und Bäumen
Ertönet um und um
Gesang der Vögel und Heimen
Des Bienenvolls Gesumm
Oft flecht ich Blumen zum Kranze
Und spiegle mich als Braut
Am Quell im zitternden Glanze
Und sing und lache laut

Auch macht mein Lämmchen mir Freude
Es folgt mir wie am Band
Empfängt die blumige Weide
Und lecket mir die Hand
Doch wird ein Nestchen gefunden
Im dichtbelaubten Strauch
Dann seufz ich Einsame Stunden
O baut ich selber auch

Wie manchen Abend wie manchen
Sicht Robert übern Zaun
Und grüßt so freundlich Mein Hannchen
Schlaf wohl laß dir nicht graun
Errötend treib ich die Schafe
Und blicke vor mich hin
Dann ist er Schäfer im Schlafe
Und ich bin Schäferin

Text: Heinrich Voss , 1790 , zuerst in Vossischer Musenalmanach 1791 S. 14 — 16.
Musik: Nach der Melodie. von J. A. P. Schulz zu: Der Landmann hat viel Freud , in s. Lieder im Volkston . 2. T. 1785 S. 42. Text bei Wustmann , Liederbuch 3. A. S. 393. 394.
in Als der Großvater die Großmutter nahm (1885)

Liederthema:
Liederzeit: vor 1790 : Zeitraum:
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