Nun ruhen alle Wälder
Vieh, Menschen, Städt und Felder
Es schläft die ganze Welt;
Ihr aber, meine Sinnen
Auf auf, ihr sollt beginnen
Was eurem Schöpfer wohlgefällt

Wo bist du, Sonne, blieben?
Die Nacht hat dich vertrieben,
Die Nacht, des Tages Feind;
Fahr hin! Ein ander Sonne,
Mein Jesus, meine Wonne,
Gar hell in meinem Herzen scheint.

Der Tag ist nun vergangen,
Die güldnen Sterne prangen
Am blauen Himmelssaal;
Also werd ich auch stehen,
Wann mich wird heißen gehen
Mein Gott aus diesem Jammertal.

Der Leib eilt nun zur Ruhe,
Legt ab das Kleid und Schuhe,
Das Bild der Sterblichkeit;
Die Zieh ich aus. Dagegen
Wird Christus mir anlegen
Den Rock der Ehr und Herrlichkeit.

Das Haupt, die Füß und Hände
Sind froh, daß nun zu Ende
Die Arbeit kommen sei;
Herz, freu dich, du sollst werden
Vom Elend dieser Erden
Und von der Sünden Arbeit frei.

Nun geht, ihr matten Glieder,
Geht hin und legt euch nieder,
Der Betten ihr begehrt;
Es kommen Stund und Zeiten,
Da man euch wird bereiten
Zur Ruh ein Bettlein in der Erd.

Mein Augen stehn verdrossen,
Im Hui sind sie geschlossen,
Wo bleibt denn Leib und Seel?
Nimm sie zu deinen Gnaden,
Sei gut für allem Schaden,
Du Aug und Wächter Israel.

Breit aus die Flügel beide,
O Jesu, meine freude,
Und nimm dein Küchlein ein!
Will Satan mich verschlingen,
So lass die Englein singen:
Dies Kind soll unverletzet sein.

Auch euch, ihr meine Lieben,
Soll heute nicht betrüben!
Kein Unfall noch Gefahr.
Gott laß euch selig schlafen,
Stell euch die güldnen Waffen
Ums Bett und seiner Engel Schar.

Text: Paul Gerhardt  (1648)
Melodie Heinrich Isaac  (1450-1517)

Liederthema:
Liederzeit: vor 1648 : Zeitraum:
Geschichte dieses Liedes:

Zur Geschichte dieses Liedes:

Parodien, Versionen und Variationen:

Zweite Melodie zu

Böhme schreibt im Liederhort (1897) über dieses Lied:

„Noch mehr Zuwachs nach Volksliederart bringt nachfolgender Text.
Als Harmonist der Melodie ist Heinrich Isaak genannt. Dieser war vor 1492 Kapellmeister an der Johanniskirche zu Florenz, Lehrer des Prinzen Lorenz von Medici und kaiserlicher Geschäftsträger an genanntem Hofe, später in Wien Kapellmeister des Kaisers Maximilian (gestorben 1519). Da Isaak in diesem Amte starb, so mag sein Todesjahr spätestens 1518 sein. Wahrscheinlich war Isaak selbst der wirkliche Komponist (nicht bloß der Harmonist) dieser schönen Abschiedsmelodie, mit welcher er ein unvergängliches Denkmal sich gesetzt hat. — Den Text für ein Handwerksburschenlied zu halten, ist grundlos: die höfische Sprache darin weist auf einen Hofe- oder Kunstdichter. — Es geht die Sage, Kaiser Maximilian, der so oft und gern in Innsbruck sich aufhielt, hätte selbst dies Abschiedslied gedichtet und sein Kapellmeister Isaak es komponiert. —

Das Lied mit seiner herrlichen Melodie stammt jedenfalls aus dem Ende des 15. Jahrhunderts und war schon 1505 so beliebt, dass auf seine Weise ein geistliches Lied gedichtet wurde. Dieses steht im Münchner cod. germ. 808 vom Jahr 1505 und sein Anfang lautet nach WK. II, 1020:

„Frolich so wil ich singen
Ich hoff mir sol gelingen.
So ichs will heben an:
Maria Wardt geboren
von Sandt Anna auserkoren
von Joachim der heilig Mann

Überschrift: Ein Liedlein von sanndt Anna und Joachim. In dem Ton:  Innsbruck ich muß dich lassen. —

Nach der Reformation wurde die Singweise zu mehreren geistlichen Dichtungen benutzt. Zunächst gabs eine geistliche Umdichtung von dem ev. Pfarrer J. Heß ( gestorben 1547 in Breslau), die lange beliebt war und zu Begräbnissen und Hinrichtungen vom Volke gesungen wurde:

O Welt ich muß dich lassen
ich fahr dahin mein Straßen
Ins ewig Vaterland
Mein Geist muß ich aufgeben
Dazu mein Leib und Leben
Setzen in Gottes gnädig Hand

Mit diesem Texte ging die Melodie in die ev. Kirchengesangbücher über. Später (im 17. Jahrh.) sang Paul Gerhard nach dieser Weise sein Abendlied: Nun ruhen alle Wälder. Unter diesem Namen lebt die Melodie noch jetzt, freilich ihres alten Rhythmus entkleidet, im evangel. Kirchengesang und werden hunderte von Liedern nach ihr gesungen.

Selbst in den katholischen Kirchengesang (s. Bäumker I, Nr, 407) fand sie Eingang und zwar in neueren Gesangbüchern zu dem Sakramentsliede:

O allerhöchste Speise
Auf dieser Lebensreise
Wahrhaftes Himmelsbrot
Tu uns den Hunger stillen
Mit deiner Gnad erfüllen,
Uns retten von dem Tod.

Ein Stück deutschen Lebens, deutscher Gefühlsinnigkeit muß dieser sanften ionischen Weise innewohnen, dass sie 5 Jahrhunderte durchlebte und immer noch als Choral gern gesungen wird. S. Bach soll sich dahin ausgesprochen haben: er wolle für diese einzige Melodie, wenn er sie erfunden hätte, sein bestes Werk hingeben. (Allgem. Kirchenzeitung 1836 S. 51). Ebenso soll Mozart sich geäußert haben (s. Tucher, Schatz des ev. Kirchengesanges 1840, S. I). —

"Nun ruhen alle Wälder" wird auf diese Melodie gesungen:

Melodie zu Nun ruhen alle Wälder

"Nun ruhen alle Wälder" in diesen Liederbüchern

in: Feldgesangbuch (1897) — Lieder für höhere Mädchenschulen (1919) — Liederbuch des jungdeutschen Ordens (1921) — Kinderklänge (1921) — Der Kreis () — Liederbuch für die deutschen Flüchtlinge in Dänemark (1945) — Steht auf ihr lieben Kinderlein (1948) —  Die Mundorgel (1953)