Der heilig Herr sant Matheis

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Der heilig Herr sant Matheis

Der heilig Herr sant Matheis
Der schleußt uns auf die Thür
Um seinen Tag zerbrichts Eis
Der Pflug der kommt herfür
So naht es sich dem Sommer
Der Vögel Traum vergaht
Verlassen ihren Kummer
Krähen mit großem Brummer
Das macht die Habersaat.

SantJörg, der edel Ritter schon
Der bringet uns den Maien
Daß die Frauen und die Mann
gehn mit einander reihen
Bald nach der österlichen Zeit
In Garten und im Haus;
Ein Katz ihn’n da im Sinne leit
Und ihn’n dann in die Ohren schreit:
Das Lied das heißt „Reu-auß“.

Lobt sant Walpurg, die Frummen
Die bringt uns neue Mär
Ins Wirtshaus ihr viel kummen
Die Kirch die findt man leer
In heimlichen Ecken
Da findt man Freuden viel
Sie lassen sich nit schrecken
Und leeren aus ihr Säcken
Mit Würfel- und Kartenspiel

Wenn die Pfingsten fürhin gahn
So kummt der liebe sant Veit
So heb wirs Tanzen wieder an
In manchem schönen Kleid
Hoffart dann wieder fürhin geht
an Maiden und an Knaben
Die Andacht und das heilig Bet
Die selig Zeit dahinten steht
Und muß alls Urlaub haben.

Wenn uns kummt sant Johannestag
So trink wir Meth und Wein;
Wer dann ein Obs gehaben mag
Der sparet nit das Sein
Darnach thun sie dann wallen
Das ist ein böser Sitt
Freundlich werden sie kallen
Und in die Büschlein fallen
Der Wein ist allweg mit

Der lieb Heilig sant Jacob
Der füllet uns die Scheuren
Noch sind die Wucherer so grob
und alle Ding vertheuren
Alles Getreids kaufen sie viel
Schütten die Kasten voll
Das ist fürwahr ein böses Spiel
Wers wieder von ihn’n haben will
Der muß bezahlen wohl

Der liebe Herr sant Bartholmä
Bringt uns Obs mancherlei
Das schmecket wohl, als ich versteh
Ein guter Wein darbei
Darnach die Bauren fast hinaus
hoch auf die Bäumen steigen
Und machen gute Hutzel draus
Die essen sie in ihrem Haus
Für gute wälsche Feigen.

Wenn sant Egidii-Tag vergaht
So ist neu Bier gebraut
Wer des zu viel getrunken hat.
Der gwinnt die Pflader-Geut
Ist ihm wohl nützer dann ein Arzt
Dem müßt er geben Lohn
……

Sant Mattheus und der ist gut
Bringt uns die reichen Trauben
So leg wir hin den Schaubhut
Suchen die rauhen Hauben
Und laufen hin mit großer Eil
Zum Ofen auf die Bank
Beim Wirth ist uns gar kurz die Weil
Und laufen oft darnach ein Meil
Wol für den Kirchengang.

Sant Michael den soll wir ehrn
Der bringt uns neuen Wein
Darbet da wöll wir fröhlich wer’n
Darzu Gott dankbar sein
Wiewol jetz Mancher nit begehrt
Dem er vor schmecket wohl
Eh daß man hat also beschwert
Geht viel darauf mit Wagen und Pferd
Mit Ungeld und mit Zoll

Nun loben wir den Herrn sant Gall
Der bringt uns Rüben und Kraut
So scharrn die Bauern und Bäurin all
Und feisten dann gar laut
Welcher die größt Scharren macht
Die hat den größten Biß
Wol bei dem Nocken in der Nacht
Der Bauer und auch die Bäurin lacht
Wer thut den größten Schiß

Der liebe Herr sant Martein
Der füllet uns die Faß
All Jahr mit gutem Wein
So trink wir dester baß
Und wenn allein die Wucherer
Ihrn großen Wucher ließen
Das wär fürwahr ein gute Mär
Und gäb uns Gott noch mehr daher
Dest baß möcht wirs genießen

Nun will es leider gar nit sein
Als wir dann sind geschrieben
Und wenn der allerbeste Wein
Hat vor gegolten sieben:
So gar leicht, daß einer klagt
Der Wein der steht nit wohl
Wenn man dasselbe weiter sagt
So ist das Volk alsbald verzagt
Und zahlt ihn dann gar wohl

Wenn kummt der heilig sant Niclas
Der heilig Himmelfürst
So sticht man Säulein klein und groß
Und macht dann gute Wurst
Und macht auch Brätlein groß und klein
Die ißt ein Theil der Adel
Wenn dann die Bauren voll sein
So feisten sie recht wie die Schwein
und laufen hintern Stadel.

Sant Thomas ist ein frummer Herr
Der bringt uns Schnee und Eis
So lauf wir zu dem Wirthshaus sehr
Und zu der Kirchen leis
Den Wirth laß wir nit feiren
Er muß uns tragen auf
Von Wildpret, Fisch und Eiren
Auch Enten, Gans und Geiren
Secht mit der Zahlung drauf

Die lieb heilige Weihenacht
Die bringt uns große Weck
Ein Freund sich zu dem andern macht
Und füllen ihr Wampen-Sack
Ins Wirthshaus sie dann treten
Da keinerlei nit fehlt;
Sie haben nit Lust zu beten
Hörn weder Meß noch Metten
Und spieln ums Opfergeld.

Die lieben heilgen König drei
Machen die Dienstmaid geil
Daß sie tanzen und springen frei
und bieten sich selber feil
Wenn man ihr Fleisch mit Salz nit sprengt
So verdirbt es in der Frist
Aber ein ander List erdenkt
Und es an einen Nagel henkt
Der selbs gewachsen ist.

Sant Paulus ist ein heilig Mann
Der bringt uns viel der Bräut
So sticht man dann die Töchter an
Und machet wieder Leut
Der Zeit der seind dieselben froh
Die lieben Töchter all
Bald man ihn’n winkt, so seind sie do
Und schreien feindlich „mordio“!
Als ein Dieb sei in eim Stall.

Damach so kummt die heilig Fast
Das sollt ihr merken eben
So liegt uns auf ein schwerer Last
Macht unser wildes Leben
Das wir dann durchs ganze Jahr
Mit Sünden auf uns laden
Soll wir mit Andacht beichten klar
Dem Priester sagen offenbar
So eß wir fröhlich Fladen.

Die Lerch und auch die Nachtigall
Die treiben groß Geschrei
Ein‘ Gesang das lob ich für sie all
Das heißet „gacken ei!“
Das Hennlein Gsang das ist das Best
Im Stadel und im Haus
Kein besser Ding ich jetzund west
Die Bäurin steigen zu dem Nest
Nehmen die Eier heraus

Man lobet uns den Chorgesang
Das ist heilig genug
Ich lob der Baure Ackergang
Der singt hinter dem Pflug
„Gottahin!“ das Gott berath
Mein allerliebster Herr
Daß mir mein Pflug bald umher gaht
Und daß mir heur aus meiner Saat
Mein Boden ganz voll wer‘!

Man lobt die Saitenspiel gar frei
Die also süßlich klingen:
Darfür lob ich das Schafgeschrei
Wenn sie Lämmer bringen
Darnach uns aber etwas wird
Hin nach des Weines Les
Und wenn ein Schaf das ander biert
Und man die Wollen von ihn’n schiert
So werden uns feist Kes

Man lobet uns den Glockenklang
wenn er so hell erklingt
Darfür lob ich des Kalb’s Gesang
Wenn es der Metzler bringt
Und wird uns um die Pfenning
Das dunket mich nitbös,
Wenn ich dann will in Freuden leben
Ich schick ein Magd mit einer Kreben
Die bringt mir Kopf und Kröß

Die löblich heilig Fastnacht
Die bringt uns Narren viel
Und daß ein Narr des andern lacht
Mit manchem Narrenspiel
Mancher in der Fastnacht lauft
Verthut damit das Sein
Man lobt jetz ein, der feindlich sauft
Und um sein Geld nit anders kauft
Denn Frauen, Spiel und Wein

Man lobt der Orgel süß Getön
Das klingt wohl in den Ohrn
Darfür lob ich ein Frauen schön
Die höflich kann gebarn
Mit züchtiglichen Sitten fein
Sucht ihren Schimpf herfür
Kauf man ihr denn ein guten Wein
Sie tut ihm seinen Esel ein
Die Säck läßts vor der Tür

Den Geigenstrich den lobt man frei
Bringt manchen guten Mut
Dafür lob ich ein guten Brei
Wenn mir der Hunger tut
Eh man ein Birn hätt geschält
Mein Bauch ich füllen kann
Daß er sich in die Weiten schwellt

Man lobt oft einen wilden Mann
Der den Leuten übel spricht
Dafür lob ich ein‘, der wohl kann
Machen ein gut Gedicht
Daß man damit die Leut nit schändt
Und fröhlich dabei wird
Wer den Kunzen Hasen kennt
Der wird in manchem Dicht genennt
Hat dies Lied Korrigiert

Text und Musik: Verfasser unbekannt
in Deutscher Liederhort III (1894, Nr. 1537 „Bauernkalender“)

Text nach einem fliegenden Blatt mit folgendem Titel:

„Ein schön Lied wird euch hie bekant
Pawren kalender ist es genant
Und ist gedrückt mit ganzem Fleyß
Wol in der Narren kappen weiß.“

Liederthema: ,
Liederzeit: vor 1520 : Zeitraum:
Schlagwort:

Anmerkungen zu "Der heilig Herr sant Matheis"

Holzschnitt: Der heilige Matthias vor einem Tore, mit Schlüssel und Beil in den Händen. Am Schluß: „Gedrückt zu Nürnberg durch Jobst Gutknccht“, o. J. (ca. 1515 – 1520). Exemplar früher im Besitz des Freiherrn v. Maltzahn (Bücherschatz I, 500), dem ich die urkundliche Abschrift verdanke, wie ich im Altdeutschen Liederbuch Nr. 452 sie abdrucken ließ. Nach anderem Drucke bei v. Liliencron, „Leben im Volkslied“ 1530. Nr. 40. — Der Text ist sehr derb, an manchen Stellen, die hier ausgeladen und mit Punkten vertreten sind, geradezu schmutzig; doch weil er für die Sittengeschichte des 15. Jahrhunderts von Interesse ist, hat derselbe Aufnahme gefunden.

Das Lied ist eine Umarbeitung eines hundert Jahr Älteren, noch schmutzigeren Gedichts von Hans Rosenplut, der von 1430 — 60 dichtete: „Ein vastnachtlyet, der colender zu Nürnberg genant. Dresdner Handschrift Nr. 58d, S. 258, im 15. Jahrhundert geschrieben. Abdruck in A. Kellers Fastnachtspielen. S. 1163. Der Anfang lautet:

„Der lieb Herr sand Mathias
der schleußt vns auf die tur
und lest unns den sumer herein
und sucht den Pflug herfur
so ficht man dann das aller vogel
trawern gar zuergat
die Hennen werden jatzen ser:
das macht die habersat.“

Der Umarbeiter des Textes nennt sich am Schlusse unseres Liedes Kunz Hase, der in mehrern historischen Liedern von 1493— 1525 genannt ist; in einem Lied von 1520 (von Liliencron historische Volkslieder Nr. 346) sagt er: „Kunz Haas der hat das Lied gedicht, ist nun ein alter man.“

Die Melodie steht mit vierstimmigem Tonsatze, aber nur erster Textstrophe, in Forsters Sammlung II, 1540. Nr. 51. Es soll nach dem obigen Titel „die Narrenkappen-Weise“ sein. Da als solche auch die zu „Von üppiglichen Dingen …“ genannt wird, so hat es zwei solcher Weisen gleichen Namens gegeben.

Texterklärungen:

  • 1.1 Matthiastag = 25. Februar
  • 1, 3 Bauernregel: Mattheis brichts Eis
  • 1. 9 Habersaat, die Zeit, wo der Hafer ausgesät wird, den die Hühner ausscharren und wegfressen
  • 2, 1 St. Jörg (Georg) = 24. April
  • 2, 4 der Reihentanz beginnt jetzt im Freien.
  • 2. 9 Wortspiel zwischen Katzenschrei (Reu-aus!) und dem Schlußtanz (Reihenaus): Ist der Reigen zu Ende, beginnt der Katzenjammer
  • 3, l Walpurgistag = 1. Mai
  • 4, 2 St. Veit = 16. Juni; Hindeutung auf die wilden Sonnenwendfest-Tänzc der Germanen und die rasenden Tänze der Slawen, zu Ehren ihres Gottes Swantewit = heiliges Licht (davon der Name Veitstänze).
  • 4, 7 das heilige Gebet wird vernachlässigt um diese Zeit
  • 5, 1 Johannistag – 24. Juni
  • 5, 2 erinnert an den Johanniswein und das Trinken der St. Johannis-Minne, altdeutscher Brauch (s. unter den geistlichen Liedern das von St. Gertrud.)
  • 5, 3 Obs = Obst, mhd. obez, hier wohl Kirschen
  • 5,5: dann beginnt die Zeit der Wall- und Bittfahrten
  • 5, 7 lallen, laut sprechen, lärmen
  • 6, 1 Jacobi = 25. Juli
  • 6, 3 Noch sind = gleichwohl sind
  • 7, 1 Bartholomäustag = 24. August
  • 7, 5 fast hinaus = ganz nach oben in die Spitzen der Bäume.
  • 7, 6 Hutzel, Hotzel = gewelltes und gedörrtes Obst, besonders Äpfel und Birnen
  • 8, 1 Egidi fällt den l. September
  • 8, 4 pfladcrn, bauschen (von Blähungen) ; die Geude, Vergeudung, Durchfall.
  • 9, 1 St. Matthäustag = 21. September.
  • 9, 3 vertauschen wir den Strohhut mit der Pelzmütze
  • 9, 9 anstatt in die Kirche so weit zu gehen
  • 10, 1 Michaeli = 29. September
  • 10, 5 Mancher muß den Wein jetzt lassen, dem er vorher so gut schmeckte, ehe man durch Zoll und Steuern das Getränk verteuerte
  • 10, 9 Ungelt, Ungeld — Abgabe, Steuer
  • 11, 1 Gallustag = 16. Oktober
  • 11, 3 scharn, ahd. scarjan, mhd. scharen, scheren — zerschneiden, in kleine blätterige Teile zerlegen, also hier: Rübenschnitzel machen
  • 11, 5 Wer die meisten Rüben geschnitzt hat, der ißt dafür Abends auch am meisten
  • 12, 1 Martini = 11. November
  • 12, 7 gute Mär, gute Sache
  • 13 ist eine fortgesetzte Klage über die Verteurung der Weinpreise durch Aufläufer oder Zwischenhändler. Sie spiegeln vor, der Wein sei nicht Wohlgeraten, daraufhin läßt das Volk sich täuschen und zahlt geduldig die erhöhten Preise
  • 14, 1 Niklastag =  6. Dezember
  • 14, 3 kleine Schweine. Spanferkel
  • 14, 9 Stadel = Scheuer
  • 15, 1 Thomastag = 21 . Dezember
  • 15, 8 Geier sind hier nicht die Raubvögel, sondern eine auch so benannte Mövcnart, die als Fastenspeise gegessen ward, weil sie sich nur von Fischen nährt (Erklärung von Liliencron)
  • 15. 9 Seht zu, gebt Acht, wie viel das euch kosten wird!
  • 16, 2 Weck, Stollen, Weihnachtsgebäck
  • 16, 4 Wampen, Bauch, Magensäcke
  • 17, 1 Dreikönigstag = 6. Januar
  • 17, 2 geil, übermütig. lustig
  • 18, 1 Pauli Bekehrung = 25. Januar
  • 18, 7 Sobald man winkt
  • 19, 9 Fladen, Fastengebäck, Kuchen, daher Osterfladen. Der Jahreskreis an Volkslustbarkeiten ist hiermit beschlossen, da Aschermittwoch zuweilen schon nach dem Matthäustage (25. Februar) fällt
  • 20, 7 west, wüßte
  • 21, 5 Das Gott berat = das walte Gott
  • 22, 3 Durchweg praktisch stellt der Bauer die Schafzucht über das Saitenspiel auf Harfe, Zither und Laute. Klaviere gabs damals noch nicht, und die „Klavierpest“ grassierte noch nicht
  • 22, 9 Der fette Schafkäse schmeckte ihm zur Weinlese wohl
  • 23, 8 Krebe, Korb
  • 24, 7 man lobt heutzutage den, der mit Vortrinken den Andern übertrifft und besiegt
  • 25, 4 sich gebaren, sich geberden
  • 25, 6 die ihren Scherz und Vergnügen sucht
  • 25, 7 Kauft man ihnen dann Wein, so schmeichelt man sie doch zu seinen Zwecken auf die Seite.