Nun so reis ich weg von hier

Nun so reis ich weg von hier
und muß hinfort meiden
dich mein allerschönste Zier
Scheiden das bringt Leiden
Scheiden macht mich so betrübt
weil ich die , die mich geliebt
über alle Maßen
soll und muß verlassen

Wenn zwei gute Freunde sich
von einander trennen
wie das ist so jämmerlich
mußt du selbst bekennen
noch viel größer ist der Schmerz
wann ein treu verliebtes Herz
muß von seines Gleichen
eine Zeitlang weichen

Sollte man mir Seel und Herz
von einander reißen
wär es doch kein solcher Schmerz
gegen den zu heißen
wenn ein fest verbundnes Paar
das da stets beisammen war
von einander scheiden
ach das bringet Leiden

Ach ihr lieben Götter ihr
könnt denn ihr das sehen
daß ich forthin für und für
soll in Lieb vergehen
Wann ich habe was getan
höret nur mein Zeugen an
war nicht mein Gewissen
stets aufrecht beflissen

Warum soll mich denn so sehr
mein Verhängnis treiben
daß wir fort nicht dürfen mehr
bei einander bleiben
Meine Wunden schmerzen mich
weil ich soll so jämmerlich
ändern meine Sinnen
denn ich muß von hinnen

O denn da ich scheiden soll
warum muß ich lieben
und das so mir täte wohl
hilft mich erst betrüben
Mein Herz seufzet Weh und Ach
weil mir das nicht folget nach
was in meinem Leben
mir könnt Labsal geben

Nur noch dieses tröstet mich
und du darfst es gläuben
daß ich nicht werd ewiglich
von dir außen bleiben
meine Schmerzen werden fort
wieder eilen an das Ort
da sie angefangen
Hülfe zu erlangen

Denk zu Zeiten noch an mich
wenn ich werde schreiben
du wirst mir auch ewiglich
im Gedächtniß bleiben
Hörst du oftmals Vögelein
wisse daß es Boten sein
die mit ihrem Singen
einen Gruß dir bringen

Schleicht zu dir ein Windchen ein
hier auf deiner Gassen
wisse daß es Seufzer sein
die von mir gelassen
tausend schick ich täglich aus
die da schleichen für dein Haus
diese da zu finden
die mich konnte binden

Dieses hab ich noch zuletzt
meiner Tausend Freude
zur Nachrichtung aufgesetzt
nun so heißts : Ich scheide
Lebe du in Fried und Ruh
bis du tust die Augen zu
reich mir deine Hände
denn es geht zum Ende

Text: Verfasser unbekannt – um 1690 auf fliegenden Blättern verbreitet
Musik: vielfach mündlich überliefert aus Brandenburg, Schlesien, Sachsen, vom Niederrhein
in Deutscher Liederhort (1856, Nr. 111a „Abschied“) und Deutscher Liederhort II (1893, Nr. 791b)

Ludwig Erk entnahm den Text aus dem „Tugendhaft Jungfrauen und Jungengesellen-Zeitvertreiber . (vermutlich um 1690 gedruckt)“ und kommentierte: „Es sei bemerkt dass sich dieser ältere Text nur in etwas verwilderter Form in vielen fliegenden Blättern aus der Zeit von 1750-1800 erhalten hat“.

Auf diese Melodie schrieb Hoffmann von Fallersleben sein „Alle Vögel sind schon da“ – und Friedrich Silcher komponierte eine sentimental aufgeladene Melodie auf den verkürzten Text aus dem Wunderhorn: „Morgen muß ich fort von hier.“

Zur Geschichte dieses Liedes: ,

Parodien, Versionen und Variationen: „Alle Vögel sind schon da“ ist ein Lied mit einem Text von Hoffmann von Fallersleben, den er auf das damals bekannte Volkslied „Morgen muß ich fort von hier“ bzw. „Nun so reis ich weg von hier“ schrieb. Während das Originallied vom Abschied und dem Aufbruch in die Ferne handelt, erzählt Hoffmanns Lied von der Wiederkehr der Zugvögel im Frühling. Die Melodie ist eine alte Volksweise des 16. Jahrhunderts. Sie wird auch zu dem Spiellied „Morgen wollen wir Hafer mähen“ verwendet.  1835 schrieb dann Hoffmann von Fallersleben den neuen Text... weiter lesen

Anmerkungen zu "Nun so reis ich weg von hier"

Tugendhaft Jungfrauen und Jungengesellen-Zeitvertreiber: Das ist Neu vermehrtes und von allen Fantastischen, groben, unflätigen und ungeschickten Liedern gereinigtes Weltliches Lieder-Büchlein. Bestehend in vielen, meistenteils Neuen, zuvor nie im Druck ausgegangenen, lieblichen und anmutigen Schäferei-, Wald, Sing-, Tanz- und keuschen Liebesliedern. Alle von bekannten annehmlichen Melodeien in ein ordentlich verfaßtes Register zusammen getragen durch Hilarium Lustig von Freudenthal (Folgt ein Holzschnitt) Gedruckt im gegenwärtigen Jahr , 201 Lieder enthaltend -Aus der 2. Hälfte des 17. Jh – vermutlich um 1690 gedruckt. Nr. 195″

Textvariationen:

  • 2,1:  Wenn zween gute Freunde sich (1690) —
  • 4,1: O ihr Liebesgötter ihr (flieg Bl.) —
  • 4,3:  muß in Liebe gehen (1690)  —
  • 4,8: aufrecht, aufrichtig —
  • 7,5: meine Striemen werden fort —
  • 9,7:  daß sie diese finden (flieg Bl) —
  • 9,8: die mich kunnte binden (1690)