Groß Lieb tut mich bezwingen

Der Kämpfer, geistlich

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Groß Lieb tut mich bezwingen

Groß Lieb tut mich bezwingen
Dass ich muß heben an
Von einem Kämpfer singen
Der war so wohlgetan

Den Kämpfer will ich nennen
Dass ihr könnt merken wie
Und eigentlich erkennen
Christ Gottes Sohn allhie

Der Kämpfer tugendreiche
Nahm sich vor einen Sinn
Aus seines Vaters Reiche
Schickt er seinen Boten hin

Zu einer schön Jungfrauen
Wohl in dem Morgenland
Die wollt er gerne schauen
Da er sein Boten sandt

Wollet ihr sie auch kennen
Die Jungfrau minniglich
Gabriel tut sie nennen
Und spricht gar tugendlich

Da er sie grüßt geschwinde
Sprach Ave Maria
Mit Worten also linde
Plena gratia

Er pflag auch süßer Worte
Bei der Jungfrauen rein
Bis sie aufschluß die Pforte
Und ließ ihn zu sich ein

Die Jungfrau berührt ihr Herze
Und sprach: Ach wer ist der
Der in fröhlichem Scherze
Begehrt zu mir her?

Der Bot der antwort’t schiere
Er ist gewaltiglich
Er kommt herab zu dire
Er macht euch alle reich

Maria sprach mit Züchten
Ich tu keins Manns Begehren!
Sollst mit mägdlichen Früchten
Ein Kind ohn Mann gebären

Gotts Sohn von Ewigkeite
Der kommt herab zu dir
Sie sprach: Ich bin bereite
Nach deinem Wort geschehe mir

Die Welt die stand in Sorgen
Mehr dann fünf tausend Jahr
In Höllengrund verborgen
Bis kam der Kämpfer klar

Das wollt er wieder kehren (wenden)
Der edel Kämpfer wert
Sein Blut um uns verehren
Und kam herab auf Erd

Durch uns so ward er junge
Wohl bei der reinen Maid
Vom höchsten Thron entsprungen
Aus Gottes Ewigkeit

Bei ihr war er zur Zeite
Wohl drei und dreißig Jahr
Eh dass er ging zu Streite
Der edle Kämpfer klar

Darnach ward man ihn spüren
Bei der Jungfrauen klar
Darum tät sich aufrühren
So gar ein große Schaar

Sie täten ihn auch fahen
So gar mit scharfer Wehr
Er ward auch hart geschlagen
Der edel Kämpfer hehr

Mit Geißlen und mit Ruten
Ein Kron mit scharfem Dorn
Das litt er durch sein Güte
Und sühnt damit den Zorn

Ein Urtheil ward gesprochen
Wohl zu derselben Zeit
Sein Seite ward durchstochen
Geschlagen ans Kreuz so breit

Da stand Maria elende
Und sah den Kämpfer an
Sie rang ihr schneeweiß Hände
Sprach: Wem willst mich hie lahn (lassen)

Er sprach zu ihr mit Schmerze
Sieh Weib, das ist dein Sohn
Damit brach ihm sein Herze
Den Kämpfer bet ich an

Daß er uns wöll behüten
Wohl vor der ewgen Pein
Maria durch dein Güte
So tu uns Hülfe-Schein

Das sey zu Lob gesungen
Maria der reinen Magd
Von ihr ist uns gelungen
Das sey ihr Lob gesagt

Text und Musik: Verfasser unbekannt
in Deutscher Liederhort III (1883, Nr. 1968)
in Des Knaben Wunderhorn (1808)

Liederthema:
Liederzeit: vor 1510 : Zeitraum:
Archivnummer: BSMA

Abweichungen im Text

Erklärungen

  • 1, 4 wohlgetan = schön gestaltet
  • 2, 4 ie = je, immer
  • 3, 2 ihm = sich
  • 9,1 schier, sogleich
  • 9,2 gewältigleich = gewaltiglich
  • 13, kehren = wenden
  • 13, 3 verreren = vergießen
  • 21, 4 bitt wir = bitten wir
  • 22, 4 Hülfe schein tun = Hülfe beweisen
  • schein , adjektiv = augenscheinlich , klar .

Anmerkungen zu "Groß Lieb tut mich bezwingen"

Offnes Bl. in Fol. gedruckt um 1510. Überschrift: Der Kempfer gaistlich. Abdr. WK. II, 1149. Gleichlautend bis auf einige Buchstaben in der Liederhandschrift des Cl. Brentano, c . 1524 . K. Bibl . Berlin Nr . 659. 4. Bl . 10 b. Daher Wunderhorn 1, 248 (Birlinger’s Ausg. I. 201 das Original). Goethe tadelt diese Dichtung: „Christ Gottessohn allhie hätte durch sein Leiden wohl einen bessern Poeten verdient“.

Offenbar liegt uns hier die Parodie eines weltlichen Liedes vor. Wer war dieser weltliche Kämpfer ? Siegfried, irgendwo ein Kriegsheld oder ein für Geld gedungener gemeiner Kempe? Das war nicht ermittelt, weil ein weltliches Kämpferlied unter diesem Titel bis jetzt nicht gefunden worden. Ich glaube es entdeckt zu haben, und es ist damit die Ballade „Es taget im Osten“ ( s. oben I S. 336 ) gemeint, darin von einem ritterlichen Kämpfer für seine Geliebte berichtet wird. Die ganze Situation jener Ballade kehrt hier in der geistlichen Parodie wieder: Gespräch der Geliebten (Maria) mit dem Boten; Einlaß des Geliebten (Gabriel) und Klage der Geliebten um den gefallenen Kämpfer. Auch das Alter passt, denn um Anfang des 16. Jahrhunderts war jene Ballade sehr verbreitet, und sogar das Versmaß beider Lieder stimmt überein.

Die rechte Melodie zu diesem aus Bayern stammenden geistlichen Texte ist jedenfalls die von der Ballade, die ich in verkleinerten Noten gebe. F. Hommel (geistliche Volkslieder Nr. 14) gibt eine nicht dazu gehörende aus einem geschriebenen Büchlein des 17. Jahrhunderts: Die neuerrichtete Singschule. Auch so Altdeutsches Liederbuch 589.