Liederlexikon: Haselnuß

| | 1908

Die Haselnuß, deren altgermanisches Wort schon in vorgermanischen Zeiten wurzelt, war in grauer Vorzeit eine der wichtigsten Zauber- und Kultpflanzen. Sie war der einzige einheimische wahrhaft wohlschmeckende Früchte tragende Fruchtbaum. Eichen und Schlehen konnten nicht mit ihr verglichen werden. — Haselnüsse und Haselstäbe finden sich in alten deutschen Gräbern als Symbole des Lebens und der Lebensrute, so in den Alemannengräbern,. die Menzel 1846 zu Oberflaht bei Tuttlingen ausbeutete, Denn die Haselnuß, die Frucht, war das Sinnbild des Lebens, der geschlechtlichen Fruchtbarkeit, der Unsterblichkeit und — da sich oft zwei Früchte zusammenfinden,. der geschlechtlichen Paarung.

Idhuna, die Göttin des. Lebens und der Unsterblichkeit, wurde von Loki in Nußgestalt aus dem Riesenlande nach Asgardhr zurückgebracht, Die Nuß galt von alters her als Symbol der Vulva, des. weiblichen Gliedes, die Gerte jedoch wurde mit dem Penis verglichen und die zwei Nüsse daran stellten die Hoden vor.

Die Haselnuß war dem Donar, dem Gott der ehelichen und animalischen Fruchtbarkeit, heilig. Die Haselgerte galt als eine vorzügliche Lebensrute, mit diesem Symbol des Penis wurden Frauen wie Tiere geschlagen, ,genußt“, damit sie fruchtbar würden. Noch heute schlägt man z. B. in der Normandie die Kuh, um sie milchreich zu machen, dreimal mit der Haselgerte. — Die Haselgerte-wird vielleicht die älteste Lebensgerte abgegeben haben,. Urkundlich ist ja die erotische Heidensitte schon im achten. Jahrhundert bezeugt. Die am Berchtentag oder auf Johannistag geschnittene Wünschelrute (= Penis) ist eine Haselgerte mit einjährigem Trieb. Diese Lebensrute wurde auch zur Wünschelrute, die verborgene Schätze findet.. Man gab ihr menschliche Gestalt, indem man sie von unten schlitzte, d. h. zwei Beine gab. — Eine abgeschabte Haselgerte tragen noch heute die Hochzeitlader im Schwarzwald.

Im Hamburgischen heißt der Haselbusch „Klöterbusch“, Klöter, Klote, Klöße sind die Hoden; also wegen der Früchte,  die paarweise wie die Hoden und ähnlich wie diese in ovaler Form neben einander stehen. In Bremen wird „Kläterbusk“ genannt. Nicht bloß die Früchte, sondern schon die Fruchtknoten der Haselnuß, die an der Gerte sitzen, werden von den Engländern mit den Hoden, die an dem Penis sitzen, verglichen: nut of a maus yard. Als Hode, als männliches Symbol gilt die Haselnuß auch im Hexenglauben: jede Hexe erhält auf dem Blocksberg eine Bohne oder Nuß, an dem ihr Buhlteufel gebunden ist.

Öfter und stärker wird die einzelne Nuß als Symbol des weiblichen Geschlechtsteils aufgefaßt. Verschiedene Vorstellungen halfen hierbei. Weil der Fruchtkern der Nuß so gut geschützt in drei Hüllen lag, sah man in ihr das Symbol des im Keime ruhenden Lebens. — Schon die geraubte Idhuna wurde von Loki in eine Nuß verwandelt und nach Walhalla zurückgebracht. Als die zu eröffnende Fruchtschale stellte man die Nuß dem zu eröffnenden Geschlechtsteil des Weibes wie des Tieres gleich. Nuß nennt man noch heute das Geburtsglied der Wölfin wie der Füchsin (Neranich). Vgl. auch Walnuß.  Man vergleiche auch den uralten Zug in deutschen und nordischen Märchen, der Held findet in den ihm geschenkten Wundernüssen elfenhafte Weiblein, die ihm Hülfe in seiner Not spenden.

„Nüsse knacken“ ist schon in alter Zeit ein Euphemismus für „ein Weib beschlafen“. Die Nachweise sind unzählig. Man lese bei Nithard das Lied vom Birnmost, zu dem die Wirtin mit dem Sänger braune Nüsse knackt (XIII. Jhdt.). Quitzmann, Religion der Baiwaren 186o  S. 90 führt ein bair. Volkslied „Des Klausners Abschied“ an:

„Pfiati Gott Schatzerl! I muß a Klausna wern;
Hast a´s letzt Schmatzerl, Haselnußkern !
Wer woaß wer d´Nuß aufbeißt
Wer woaß wer’s Kuterl (vulva) z´reißt;
Alli Leut essen gern schöni Haslnußkern

Andere Nachweise siehe Ergänzungsband. —

Ein ähnlicher Ausdruck ist „in die Haseln gehn“ d. h. sein Liebchen aufsuchen. Man vergleiche das Lied „Das Mädchen und die Hasel“ (Hoffmanns Schlesische Volklieder Nr. 100, 101, 102). Wer von seinem Schätzchen das Jawort nicht erlangen kann, mache nur, daß er sie bei der Hasel treffe, so ist der Bund geschlossen (Z. f. d. Myth. III 96).

So im Simrock Kinderb. 13o, 333:

Ei du liewi Dordee-Liß
Geh mit mir in die Haselniß
S´henke alli Hecke voll
Weiß nit, wo i zopfe soll

Ebenfalls im Schwäbischen Kinderreim (Meier, Kinderreime 39, 129)

Annele, Annele, Nuß, Nuß, Nuß!
Komm, wir wolln in d’Haselnuß!
D´ Haselnuß ist no nit reif
Komm, wir wolln ins Besenreis
S´Besenreis ist no nit reif
Komm, wir wolln ins Bettele
S´Bettele, das ist no nit gemacht
Komm, wir wolln in Taubeschlag
Taube flieget aus und ein
Welcher will der Käufer sein?

Eine schlesische Sage läßt in einem Haselwäldchen bei Sula eine gespenstische Jägerin umgehen zur Strafe, weil sie wegen unbefriedigter Lust sich und den Liebsten getötet hatte. — Dem Mädchen, mit dem man viel in die Haseln ging, wurde statt einer grünen Pfingstmaie ein Haselstrauch vor die Türe gestellt. Schon 1393 wird dieser Brauch aus der Normandie zu Pont l´’Eveque berichtet. —
Ein Volkslied zielt auf diese erotische Beziehung:
Die Nachtigall singt auf keinem Tannenbaum
Schlägt in die Haselnußstauden

Mit den Nüssen, die so zahlreich an der Haselstaude wuchsen, verband man auch die Vorstellung eines reichen Kindersegens. Ähnliches sahen wir bei den Früchten der Eberesche. So sagt man: Wenn viele Haselnüsse im Jahr wachsen, gibts viele Kinder (auch uneheliche) ; so in Böhmen, Vogtland, Westfalen.
„Wenn et viel nuete giet, giet et ök viel haurblägen“.

In der Montagne noire heißt es „lorque l´anne est fertile en noisettes, il y a beaucoup de naissances illegitimes.“ Im Elsaß sagt man: „wös nusse git, git’´s au bengel“ Man vergleiche den Doppelsinn: „Die kleinen Leute hat Gott erschaffen und die großen Bengel wachsen im Walde (auf eheliche und uneheliche Kinder angewendet).“ — Wenn eine schwangere Frau eine Zwillingsnuß ißt, so bekommt sie Zwillinge (Rügen). Eine doppelte oder mehrfache Nuß vergräbt man im Schafstalle, damit die Schafe gedeihen und Zwillingslämmer gebären. Sankt Nikolaus, der Kinderfreund, bringt Nüsse. Eine isländische Sage erzählt, daß eine kinderlose Herzogin im Nußwald spazieren ging, da begegnen ihr drei Nornen und versprechen ihr ein Kind (Maurer, lsländ. Volkss. S. 284). Auch die Ruten, die Jakob in den Brunnen legte, um die Schafe fruchtbar zu machen, sollen nach dem Volksglauben Haselruten gewesen sein.

Haselnüsse galten wie die späteren Walnüsse und Äpfel als Symbol der Fruchtbarkeit und des Segens zu Weihnachten wie zu Hochzeiten. Walnüsse streuten schon die Römer bei den ländlichen Fruchtbarkeits- und Erntefesten, ebenso bei Hochzeiten als Symbole der Fruchtbarkeit aus. — Bei den heidnisch-germanischen Hochzeiten streute man Haselnüsse und knackte sie mit dem Hammer, dem Symbol des Phallus. Schon in der Thrymsquidha wird der Hammer Thors der Braut in den Schoß (in die „Nuß“) gelegt. Siehe das Weitere in dem Ergänzungsband unter „Baum und ähnliche Bezeichnungen des Penis“. — Im hannöverschen Wendlande mußte die Braut ehemals Nüsse unter die Jugend von ihrem Hochzeitswagen hinabwerfen. Am Morgen des dritten Hochzeitstages wirft sie von ihrem Kleiderschrank aus Nüsse unter die Hochzeitsgäste. — In der Altmark wirft man Nüsse und Äpfel während des Hochzeitszuges aus, der die Braut bis zur Feldmark des Bräutigams führt. — Bei den Kleinrussen in Wolhynien überschüttet die Schwiegermutter nach der Trauung ihren Schwiegersohn in dessen Hause mit Nüssen und Hafer und. besprengt ihn mit Weihwasser. In der Bretagne im Kanton Kernevil gibt man Haselnüsse der jungverheirateten Frau in der ersten Hochzeitsnacht.

Als erotisches Stärkemittel galt das Nußöl gegen Impotenz wie gegen Brüche. Das weiche Mark zwischen Nußkern und Nußschale soll, in Bier genommen, gegen den Frauenfluß helfen. Als Liebesorakel gilt die Haselnuß in Schlesien; beim Hochzeitsschmause werfen sich die jungen Mädchen und Männer mit Haselnüssen, findet sich darunter eine mit doppeltem Kern, so wird aus beiden ein Paar. Anders in Northumberland: Brautleute werfen Nüsse ins Feuer. Liegen sie still und brennen sie zusammen, so weissagt man eine glückliche Ehe, fallen sie aber krachend auseinander, so eine unglückliche. — Die Nuß war das Zeichen der Liebesgunst. Eine spottende Verdrehung ist es, wenn das Mädchen den Heiratsantrag abweist und einen Teller mit Haselnüssen dem Liebhaber statt jeder anderen Antwort darreicht (Bretagne).