Liederlexikon: Geißler
Begriffe | 1349„Da man zählte 1349, vierzehn Tage nach St. Johannstag, da kamen gen Straßburg wohl 200 Geißler, die hatten Leben und Weise an sich, als ich hier ein Teil beschreibe: Zum ersten sie hatten die kostbarsten Fahnen von Sammettüchern, rauh und glatt, und von Baldachin die besten, die man haben mochte, derer hatten sie vielleicht zehn oder acht oder sechs, und vielleicht eben so manche Kerzen, die trug man ihnen vor, wo sie in die Städte oder Dörfer gingen, und stürmte mit allen Glocken ihnen entgegen und gingen den Fahnen nach, je zween und zween mit einander und hatten alle Mäntel an und Hütlein auf mit roten Kreuzen und sangen zween oder vier einen Leis vor und sangen ihn die anderen nach. Der Leis war also: „Nu ist die betevart so her“
Wenn sie in die Kirche kamen, so knieten sie nieder und sangen: „Jesus wart gelobt mit gallen des fullen wir an ein crüze vallen“. Bei dem Worte fielen sie alle kreuzweise auf die Erde, so dass es klapperte. Wenn sie eine Weile also lagen, so hub ihr Vorsänger an und sang: „Nu hebent uf die üwere hende …“ Dann standen sie auf. Das taten sie dreimal. Wenn sie zum dritten Male aufstanden, so luden die Leute die Brüder, eins lud zwanzig, eins zwölf oder zehn, jegliches nach seinen Verhältnissen, und führten sie heim und boten es ihnen wohl (bewirteten sie gut) …
Nun war dies ihre Regel: Wer in die Brüderschaft wollte und an die Buße treten, der musste 34 Tage drinnen sein und bleiben und darum so mußte er haben also viel Pfennige, daß ihm alle Tage 4 Pfennige zukamen, so lange er in der Buße war, das waren 11 Schillinge und 4 Pfennige, darum durften sie niemand ansprechen, noch fordern, noch in ein Haus kommen, wenn sie zum ersten Male in eine Stadt oder ein Dorf kamen, man lüde sie dann und führte sie ohne ihre Ansprache drein, danach mochten sie wohl in die Häuser gehen, während sie in der Stadt waren. Sie durften auch mit keiner Frau reden. Wer aber das brach, dass er mit einer Frau redete, der kniete vor ihren Meister und beichtete es ihm, so setzte ihm der Meister eine Buße und schlug ihn mit der Geißel auf den Rücken und sprach:
„Stand uf durch reinen martel ere
und hüete dich vor den sünden mere!“
Sie hatten auch ein Gesetze, dass sie Pfaffen mochten unter sich haben, aber keiner von ihnen sollte Meister unter ihnen sein, noch an ihren heimlichen Rat gehn. — Wenn sie nun wollten büßen, also nannten sie das Geißeln, das war mindestens zweimal des Tages, früh und spat, so zogen sie in das Feld hinaus, und läutete man die Glocken und sammelten sich und gingen je zween und zween, ihren Leich singend, also vorher gesagt ist: und wenn sie kamen an die Geißelstatt, so zogen sie sich aus barfuß bis auf die Beinkleider, und taten Kittel oder andere weiße Tücher um sich, die reichten von dem Gürtel bis auf die Füße und wenn sie wollten anfangen zu büßen, so legten sie sich nieder in einem weiten Kreis, und wie jeglicher gesündigt hatte, darnach legte er sich: war er ein meineidiger Bösewicht, so legte er sich auf eine Seite und reckt seine drei Finger über das Haupt hervor; war er ein Ehebrecher, so legte er sich auf den Bauch. So legten sie sich in mancherlei Weise nach mancherlei Sünde, die sie getan hatten; dabei erkannte man wohl, was Sünde jeglicher von ihnen begangen hatte. Wenn sie sich so hatten gelegt, so fing ihr Meister an, wo er wollte und schritt über einen und berührte den mit seiner Geißel auf den Leib und sprach:
Stand uf durch der reinen martel ere
und hüete dich vor den sünden mere!
So schritt er über sie alle, und über welchen er schritt, der stand auf und schritt dem Meister nach über die vor ihm lagen. Wenn ihrer zwei über den dritten schritten, der stand dann auf und schritt mit ihnen über den vierten, und der vierte über den fünften vor ihm. So taten sie’s dem Meister nach mit der Geißel und mit den Worten, bis dass alle aufgestanden und über einander schritten.
Wenn sie auf diese Weise waren aufgestanden zu einem Kreise, so stellten sich ihrer etwelche hin, die die besten Sänger waren und fingen einen Leis an zu singen. Den sangen die Brüder nach, so wie man zum Tanzen noch singet.
[Aus obiger Stelle bei Closner haben wir nicht (mit W. Wackernagel) zu folgern: dass die Geißler ihren Leis nach einer weltl. Tanzweise absangen: es ist blos auf die Art des Bor» und Nachfingcns, wie solches beim Tanze geschah, hingewiesen]
Unterdessen gingen die Brüder um den Kreis je zween und zween und geißelten sich mit Geißeln und Riemen, die hatten Knöpfe vornen, darein waren Nadeln gesteckt, und schlugen sich über ihre Rücken, dass mancher sehr blutete.
Nun ist der Leis oder Leich, den sie sangen: „Nu tretent herzu die büßen wollen„. Nun standen sie alle auf und gingen um den Kreis und geißelten sich, wie sie zuvor hatten getan und sangen also: „Maria stund in großen Nöten„.
Nun knieten sie und fielen dann nieder und sangen, und standen dann wieder auf und benahmen sich, wie vorher von dem Sange an „Jesus der wart gelabt mit gallen “ bis an den Sang „Maria stund in grozen nöten“. So standen sie dann abermals auf und sangen diesen Leis sich geißelnd: „O ihr armen Wucheräre“.
Geißler-Lieder (1349)
- Nu ist die Betefahrt so hehr (Geißlergesang)
- Jesus wart gelobt mit gallen
- Nu tretent herzu die büßen wollen
- Maria stund in großen Nöten
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- Various(Autor)
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