Altdeutschland ist erwacht – im Siegesklange
umtönt das Träumervolk die erz´ne Wehr
die Welt erstaunt – in raschem Waffengange
stieß es ins Herz des Übermuts den Speer
In Bande schlug´s den Rest
der fluchend wimmert
den Rest der fränkschen Fechterlegion
und unter seinen Siegstrophäen
erschimmert ein Kaiserhaupt und ein geborst´ner Thron

O deutsches Blut, wie liebtest du zu hadern
dich zu befehden sonst in blinder Wut
Zusammenquollst aus allen deutschen Adern
du nun versöhnt in eine Purpurflut
Im Lagerfeld, in dumpfen Lazarethen
da fand der Bruder seines Bruders Hand
und siegesfroh begrüßt in Todesnöten
sein brechend Aug ein einig Vaterland

Der Märker hat den Bayer treu gefunden
verstummt ist im Gewühl, im Schwertgeklirr
im Siegesjubelglanz, bei Blut und Wunden
uralter Zwietracht Wortgezänk. Und wir?
Wie stand´s um uns in Deutschlands Schlachtentagen
„Neutral“ war Österreichs Hand und Öst´reichs Erz
Neutral? Nicht ganz! Das Herz hat mitgeschlagen
das Herz Deutschösterreichs, das deutsche Herz

Und fragen einst die Brüder wo gewesen
seid ihr, als der Entscheidung Stunde schlug
als rings, den tausendjähr´gen Bann zu lösen
Germania nach ihren Söhnen frug
als sich in Siegesfreude, Todesnöten
verjüngt das deutsche Volk, das deutsche Reich
Wir sagen, frei die Stirn vom Schamerröten
Deutschösterreich war mitten unter euch

Der wackre Stamm , der deutsches Eisen hämmert
bei Gott, der Stamm ist kein Thumelicus
Schon als es nicht getagt, nur erst gedämmert
flog nordwärts liebend mancher deutsche Gruß
Nicht ist´s der erste, welcher heut der Grenzen
in Treue spottet — und so wahr im Schein
der deutschen Sonne auch die Alpen glänzen
es wird nicht uns´rer Grüße letzter sein

Text: Robert Hamerling (1870)
Musik: auf die Melodie von Denkst du daran mein tapferer Lagienka
in Liederbuch für die Deutschen in Österreich (1884) —

„Aus dem Prolog der in Graz, Oktober 1870, zum Besten deutscher Verwundeter abgehaltenen Akademie“ – was für eine aufgeblasene geschwollene Sprache!

Zur Geschichte dieses Liedes:

Parodien, Versionen und Variationen:

„Denkst du daran mein tapferer Lagienka“ ist ein Lied aus dem 1825 erstmals aufgeführten Singspiel ”Der alte Feldherr” von Karl von Holtei  (1798-1880). Das Lied ist ein Wechselgesang der in dem Singspiel auftretenden Figuren Thaddäus und Lagienka: Tadeusz Kosciusczko mit seinem Soldaten Lagienka.. Holtei schrieb es nach einem französischen Lied von Émile Debraux von 1815, dass die napoleonische Armee und ihre Feldzüge verherrlichte: “Te souviens tu disait un capitaine”.

Der Unterschied der Strophe 5  in verschiedenen Versionen erklärt sich daraus, “daß Holtei sein  Stück nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes von 1830/31, auf Grund der inzwischen erschienenen Biographie T. Kosciuszkos von Karl Falkenstein, umarbeitete und in unserem Lied die anfängliche Schlußstrophe durch eine neue ersetzte” (Steinitz II (1962)

Das Lied war äußerst beliebt:  “In Leipzig hatten sich 1200 Zuschauer zu einem für die Polen veranstalteten Konzerte im Gewandhaussaale eingefunden, das seinen stürmischen Höhepunkt erreichte, als das Nationallied “Denkst Du daran…” ertönte. ( in: “Komet” Beilage Nr.1 vom 7.1. 1832, zitiert nach Steinitz II (1962

In dem  Buch „Das Kölnische Volks- und Karnevalslied” (1951, S. 182—186) führt Paul Mies  zu “Denkst du daran mein tapferer Lagienka” an, daß diese Melodie im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts sehr beliebt war;  sie würde „besonders gewählt, wenn es sich im Text um Erinnerungen, um Abschied, um wehmütige Gedanken handelt”. Mies führt 10 Lieder auf diese Melodie an….

Das Lied war in Polen noch um 1900 bekannt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Mitteilung von Böhme ( Volkstümliche Lieder, S. 82), daß unser Lied schon 1840 von polnischen Bauernmädchen, die als Landarbeiter nach Schlesien kamen, gesungen wurde: “Der Cantor Jakob zu Hainau in Schlesien ließ sich 1840 in Bad Altwasser von jungen Polenmädchen den polnischen Text vorsingen, und die Melodie stimmte mit der bei Holtei überein. Ein Pole versicherte: “Die Melodie ist echt polnisch!”

Anmerkungen zu "Altdeutschland ist erwacht"

Thumelicus = der Sohn des Cheruskerfürsten Herrmann, von Thusnelda in der Fremde geboren, wurde zu Ravenna als Gladiator erzogen („Der Fechter von Ravenna“)