Liederlexikon: Birke

| 2017

Unseren germanischen Vorfahren galt bereits in grauer Urzeit die Birke ganz besonders als der Baum des Segens, Lebens,Wachsens, welcher Fruchtbarkeit und (in späteren Zeiten) auch Schönheit verlieh. Der Grund war wohl das frühzeitige Schwellen und Knospen, das überraschend schnelle Sichbegrünen, auch das geschmeidige, lebendige sich Hin und Herbewegen seiner Äste,Vor allem die leuchtende, lichtvolle Weiße seiner Rinde. Die Anschauung von dem zeugenden und Leben verheißenden Dämon des Baumes trat in den uralten Bräuchen des Frauenstäupens und der Dorf- und Pfingstmaien hervor. Erst in späterer Zeit ist der Baum als weibliches Wesen gedacht worden, der im Gegensatz zum männlich knorrigen Eichbaum eine zierliche Geschmeidigkeit, einen mädchenhaften, duftigen Charakter besitzt. So werden in manchen Sagen Jungfrauen in Birken verwandelt, so schwärmen noch unsere Romantiker von der Frau Birke, der Dame in dem grünen Schleier.

Die Birke zumeist stellte, wie wir in der Einleitung bemerkten, den die Frauen befruchtenden Vegetations- und Frühlingsdämon dar, der von den Frauen feierlichst am ersten Mai oder zu Himmelfahrt oder auch zu Pfingsten, zu Johanni aus dem Walde eingeholt, in der Mitte des Dorfes aufgepflanzt, mit Kränzen geschmückt und mit Liedern und Tänzen gefeiert wurde. Die russischen Weiber holten eine Birke zu Pfingsten aus dem Walde. Bei den Wenden nördlich von Salzwedel richteten die Weiber am Johannistag eine Birke auf, deren Zweige bis unter dem Gipfel abgehauen waren. Im Harz bei Thale holte man ebenfalls eine Birke als Dorfmaibaum ein, während es in Hasserode eine Tanne ist. Ebenso werden in England und Frankreich Birken als Dorfmaibäume verwendet. (Maibaum)

Noch häufiger finden wir auch den Brauch, die Birke als Pfingstmaien vor den einzelnen Häusern aufzupflanzen. Es vertritt hier der Baumdämon, wie wir sahen, zunächst den Burschen, der sich dem geliebten Mädchen zu eigen gibt; erst in einer späteren Zeit wird der als weiblich aufgefaßte Baum zum Symbol des Mädchens selbst. Im Dep. du Nord stellt man am ersten Mai Birkenzweige an Fenster und Dach der unbescholtenen Witwen und Jungfrauen hin. Allgemein in Mitteldeutschland setzen die Burschen in der Pfingstnacht die Birke vor die Tür der Geliebten. In Limburg und Brabant setzen die Burschen in der Mainacht mit buntem Papier und Flittergold geschmückte Birkenmaien vor die Tür oder auf das Dach der Häuser der Mädchen.

Eine hervorragende Stelle nimmt die Birke auch als I.ebensrute ein. Mit der Birkengerte schlug man die Frauen und weiblichen Tiere ursprünglich auf den Geschlechtsteil, damit sie fruchtbar würden. Schon am Martinstag werden in Niederbayern Birkenruten verteilt, mit denen die Tiere am nächsten Lenz geschlagen und wieder ausgetrieben werden. Ebenso ist in der Gegend von Landau an der Isar die Birke die Martinsgerte.

In Thüringen schlagen am 28. Dezember (Kindleintag) die Kinder die Vorübergehenden um die Beine mit Birkenzweigen. Zu Fastnachten schlagen die Burschen allgemein in Niederdeutschland (Hannover, Mecklenburg, Holstein) die Mädchen mit Birkengerten und beschenken sie damit. Man benutzt manchmal statt der grünen Gerten zarte aus Silberdraht gewundene Ruten, an welche Wickelkinder, schnäbelnde Täubchen gebunden waren. Ebenso stäupen zu Fastnacht die Knechte in der Altmark mit Birkenreisern nach der Ordnung die Hausfrau, die Töchter, zuletzt die Mägde.

Am ersten Ostertage schlagen in Polen und Schlesien die Burschen die verschlafenen Mägde mit Birkenruten aus dem Bette. Ebenfalls zu Ostern schmackostern sie in Litauen, Samland, in der Neumark. In der Neumark stiepen sich auch die Mägde einander mit Birkengerten, worauf sie sich mit Eiern (Symbol der Fruchtbarkeit) beschenken.

Da die Birke die Lebensgerte ist, sollen auch die Kinder nur mit Birkenruten geschlagen werden, sonst wachsen sie nicht. Die aus Birkenruten (oder aus dem Besenkraut Artemisia) gemachten Hexenbesen wurden in Oberbayern gegen Furunkel geopfert. Das Birkenreis wurde auch als Bade (—Lebens) Oueste benutzt. Vielleicht, vermutet Höfler, war die Birke einmal weiblicher Lendenschmuck, ähnlich der Laubschürze der Negerinnen.

Da die Birke ein kraftvoller Lebensbaum war, wird sie vielfach in der abergläubischen Volksmedizin in sexueller Hinsicht angewendet. Der Birkenwein lieferte den germanischen Schönheits- und Stärketrank. Vor allem galt er als Stärkungsmittel für die „brüchigen“ Männer, die man als impotent ansah. In Böhmen ist der Birkensaft ein gern gebrauchtes Schönheitsmittel, der zudem die Frauen fruchtbar macht. Birkenlaub hilft auch den Männern gegen die geknüpfte Nestel, die da also den Beischlaf nicht zu, vollziehen imstande waren.