Ich weiß wohl wo, da steht ein Schloss
Das ist gar schön gezieret
Mit Silber und mit rotem Gold
Die Mauren glatt polieret
Und in dem Schloß steht eine Lind
Mit schönen grünen Blättern
Es wohnte eine Nachtigall drin
Gar lieblich war ihr Schmettern
Da kam ein Ritter geritten her
Er hörte die Nachtigall singen
Drob war er nun verwundert sehr
Es war um die Mitternachtsstunde
Und höre kleine Nachtigall
Wolle mir ein Liedlein singen
Deine Federn lass ich mit Gold beschlagen
Deinen Hals mit Perlen beringen
Nicht pass ich für deine Federn von Gold
Die du mir versprichst zu schenken
Ich bin in der Welt ein Vogel wild
Und keiner mag mich erkennen
Und bist du in der Welt ein Vogel wild
Und mag dich keiner erkennen
So zwingt dich wohl Hunger Kält und Schnee
Der da fällt auf Weg und Stege
Mich zwingt nicht Hunger mich zwingt nicht Schnee
Der da fällt auf Weg und Stege
Mich zwinget vielmehr ein heimlich Weh
So daß ich vor Kummer mich quäle
Wohl zwischen Berg und tiefem Tal
Hinfließen wilde Gewässer
Doch wem geworden ein treuer Freund
Der kann ihn nimmer vergessen
Ich hatt auch einen Liebsten einst
Einen mächtigen stattlichen Ritter
Schnell wandelte dies die Stiefmutter mein
Denn dieses war ihr zuwider
Sie schuf mich um zur Nachtigall
Um rings auf Erden zu fliegen
Meinen Bruder schuf sie zum wilden Bär
Gebot ihm zu laufen im Walde
Schnell fuhr er in den Wald hinein
Nicht eher sollt Hülf er finden
Als bis er getrunken ihr Herzblut
Sieben Jahr ruhig vergingen
Sie ging einmal so lustiglich
Im Rosenhain spazieren
Mein Bruder sah’s und zorniglich
Tät er sie dort verspüren
Er faßte sie beim linken Fuß
Mit der häßlichen Wolfesklaue
Riß das Herz ihr aus und trank ihr Blut
Da ward er wieder zum Menschen
Ich bin noch ein kleiner wilder Vogel
Muß fliegen in dem dunklen Wald
So jämmerlich muß ich leben
Besonders zur Zeit des Winters
Doch Dank sei Gott der geholfen hat
Daß ich kann rühren meine Zunge
Seit fünfzehn Jahren ich mit Keinem sprach
Als mit Euch in dieser Stunde
Da hab ich gesungen früh und spat
Mit lieblichem Nachtigallklange
Und nichts in der Welt mir baß behagt
Als die Bäume auf den grünen Angern
Und höre kleine Nachtigall
Was ich dir jetzt anbiete
Im Winter sollst du sitzen in der Stube mein
Im Sommer sollst du wieder fliegen
Hab dank schön Ritter für die Ladung dein
Doch darf ich sie nicht annehmen
Es verbot mir dies Stiefmutter mein
So lang ich trüge die Federn
Doch der Ritter stund und dachte nach
Nicht achtend der Nachtigall Willen
Er griff sie bei den Füßen jach
Denn so war es Gottes Wille
Und er ging nun in sein Zimmer mit ihr
Verschloß die Fenster und Türen
Hier ward sie zu manchem Wunderther
Wie man nur kann hören und spüren
Er schuf sie um zum Leu und Bär
Und darauf zu vielen kleinen Drachen
Zuletzt in einen Lindwurm stark
Mit aufgesperrtem Rachen
Er schnitt sie mit einem Messerlein
Bespritzt ward der Boden mit Blute
Und vor ihm stand ein Jungfrau fein
So lieblich wie eine Blume
Nun hab ich dich erlöst von deiner Not
Und deinem heimlichen Leide
Nun sage mir auch deine Abkunft gut
Von Vater und Mutter Seite
Aegyptenlands König war der Vater mein
Seine Königin meine Mutter mit Ehren
Mein Bruder mußt Werwolf sein
In dichten Wäldern sich nähren
Ist Aegyptenlands König der Vater dein
Seine Königin deine Mutter in Ehren
So bist du Schwestertochter mein
Die du Nachtigall musstest werden
Und große Freude ward überall
Auf dem Hofe und im ganzen Lande
Das gefangen der Ritter die Nachtigall
Die gewohnt in der Linde so lange
in: Svenska Volke Visor II 67 72 Nr 41 Übersetzt von Mohnike: Altschwedische Balladen 1836 Nr. 38: Die verzauberte Prinzessin Den förtrollade Prinsessan
Das Lied wurde im 17. und 18. Jahrhundert in Schweden oft gedruckt unter dem Titel: „Ein sehr schönes doch sehr trauriges Lied von einer Königstochter die von ihrer Stiefmutter durch Zauberkunst in eine Nachtigall verwandelt wurde und wie sie zuletzt durch Gottes Vorsehung von einem Ritter befreit wurde“
Zur Geschichte dieses Liedes:
Versionen, Parodien und Nachdichtungen: :Das Lied vom kleinen wilden Vögelein ist als Teil eines längeren Liedes schon 1516 gedruckt: “ … so will ich dir dein Gefieder aufpreisen / mit Gold und brauner Seiden / Ei mein Gefieder aufpreist du mir nit / ich kann mich selber wohl schwingen / ich bin ein kleins Waldvögelein / kein Mann soll mich nit zwingen“ – und auch ... weiter lesen...
Liederthema: Balladen
Liederzeit vor 1600 - Zeitraum: 16. Jahrhundert
Stichwort: Orte: Schweden
Geschichte dieses Liedes: Das wilde Vögelein
Anmerkungen:
Böhme dazu in Deutscher Liederhort (Anmerkungen zu 173b): „Man sieht, dass von diesem schwedischen Märchen und Zauberliede die Strophen 4 – 8 auch in den vorangehenden deutschen Liedern vorkommen. Sie scheinen einem gemeinsamen Märchenliede anzugehören, von welchem in Deutschland und Holland bloß das Gespräch mit der Nachtigall erhalten blieb, während die Verwandlungen weggelassen wurden. In diesem Zusammenhange gewinnt aber das Gespräch mit der Nachtigall erst rechtes Interesse und sein märchenhafter Inhalt größere Bedeutung. Darum konnte ich mir die Wiedergabe des schwedischen Liedes hier nicht versagen, obwohl es unter die Märchenlieder gehört.“