Vorwort: Schwäbische Volkslieder (1855)

Ernst Meier (in: Schwäbische Volkslieder (1855))

Die vorliegende Sammlung schwäbischer Volkslieder bildet den Schlußstein einer Reihe früherer Arbeiten, welche es sich zur Aufgabe gemacht hatten, alle schwäbischen Volksüberlieferungen an Märchen, Sagen, Sitten,  Kinderreimen und dergleichen dem Untergange zu entziehen und bereits in drei Sammlungen gedruckt vorliegen. 1

Wie die »Kinderreime und Kinderspiele« das bunte poetische Leben und Treiben der Kinderwelt darstellen, so sollten die Volkslieder den ganzen poetischen Liederschatz des schwäbischen Volkes enthalten. Ich habe dabei den Begriff des Volksliedes strenger gefaßt, als wie dies gewöhnlich geschieht, und nur solche Lieder aufgenommen, die wirklich aus dem Volke hervorgegangen sind und durch längere Überlieferung bis heute sich erhalten haben. Sie können daher als Ausdruck der jetzt herrschenden poetischen Volksstimmung angesehen werden und sind leicht erkennbar an der kunstlosen, naturwahren, einfachen Sprache.

Ausgeschloßen sind dagegen alle Kunstdichtungen bekannter gebildeter Dichter, die etwa beim Volke Eingang. gefunden, und die man oft noch — obwohl mit Unrecht — in Volkslieder-Sammlungen mit aufnimmt. Dabei sei hier nur kurz eines ziemlich Verbreiteten Irrthums gedacht, als ob diese Lieder jemals von der Gesamtheit des Volkes gedichtet worden seien. Es gilt dies von allen Volks- und Naturpoesien so gut wie von jeder Kunstdichtung.
Das kleinste wie das größte Lied ist immer das Produkt einer einzelnen, poetisch begabten Person. Der wahre Volksdichter gehört aber seiner ganzen Bildungs- und Anschauungsweise nach dem Volke an; er singt und sagt nur das, was die Gesamtheit leicht faßt und was ihr gefällt; was ihr nicht gefällt und keinen Beifall findet, darf der Sänger nicht wieder singen; es verhallt und findet keinen Boden. Trifft er aber glücklich den Ton und die
Stimmung, in der die Gesamtheit ihr eigenes Wesen ausgesprochen fühlt, so bewahren tausend Herzen seine Worte und singen sie nach. Wo nun aber in einem solchen Liede etwa ein Ausdruck, eine Wendung, ein Bild nicht ganz glücklich und allgemein verständlich gewählt ist, da ändert das Volk von selbst und macht überhaupt sich
alles mundrecht. Auf die Art arbeitet allerdings die Gesamtheit an den Volksliedern mit, und dies befördert nicht wenig den objektiven, naturtreuen Charakter aller Volkspoesie, wie er einem einzelnen Individuum unerreichbar scheint.

  1. Deutsche Kinder-Reime und»Kinder-Spiele aus Schwaben aus de Volksmunde gesammelt, 1851. -—— Deutsche Volksmärchen aus Schwaben, 1852. —- Deutsche Sagen, Sitten und Gebräüche aus Schwaben, 2 Bände. 1852.

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  • Ompteda (29. März 1863)

    Noten dieses Liedes
    Georg Freiherr von Ompteda wurde am 29.03.1863 und starb am 10.12.1931. Er  wuchs in Wien und Dresden auf und wurde wie die meisten männliche Adeligen Offizier. Er besuchte 1888-91 die Kriegsakademie in Berlin, fiel vom Pferd und wurde zum Dienst untauglich. Nun wurde er Schriftsteller. (Projekt Gutenberg) ...