Sehr lehrreich ist es in dieser Hinsicht zu vergleichen, wie das Volk die Lieder bekannter Kunstdichter zustutzt, verändert und gewissermaßen naturalisiert, ohne daß deshalb doch wirkliche Volkslieder daraus werden.
Die hier mitgetheilten Lieder und Balladen sind sämtlich unmittelbar dem Volksmunde entnommen. Von einigen 30 habe ich auch die Melodien aufgezeichnet und zwar genau in der Weise, wie das Volk sie singt. Ich muß dies ausdrücklich bemerken, weil mehre schwäbische Volksmelodien, die durch den Druck bereits weit verbreitet sind, nicht ganz zu der wirklichen Volksweise stimmen und sichtbar eine nachbessernde Hand verraten. So schonend
und geschickt die Hand auch gewesen, so lag mir doch alles daran, die Melodien gerade so zu geben, wie das Volk sie wirklich singt. — Diese Liederweisen bilden übrigens eine fast notwendige Ergänzung der Worte und sind häufig weit älter, als die im Lauf der Zeiten leicht wechselnden Texte.

Was den Inhalt betrifft, so habe ich im Allgemeinen nur solche Stücke ausgenommen, die an sich poetischen Werth haben, oder doch eine Volkseigentümlichkeit charakteristisch ausdrücken und schon längere Zeit vom Volke gesungen worden sind. Eine passende Anordnung der Lieder war schwer; indes habe ich das reiche Material unter folgende sieben Rubriken zu Verteilen gesucht:

  1. Tanz- und Jodellieder, sogenannte «Schelmeliedle« oder Schnaderhüpfeln. Dieser Abschnitt enthält über 400 kurze Strophen von der Art, wie sie das Volk noch fortwährend bei jeder Gelegenheit improvisiert. Es sind frische, kecke Naturlaute, meist in schwäbischer Mundart, oft rauh und roh in der Form, aber voll des mannigfaltigsten und ergötzlichsten Inhaltes
  2. Frühlings- und Liebeslieder
  3. Ehestandslieder
  4. Handwerkslieder, meist humoristisch beschreibende oder auch neckende Lieder auf einzelne Stände und Handwerke
  5. Soldaten und Kriegslieder. Diese gehören einem großen Teile nach den letzten Freiheitskriegen an und beziehen sich namentlich auf die verhängnisvollen Jahre 1812 — 1815. Hiermit habe ich die wenigen historischen Lieder, die im Volke noch leben, verbunden, z. B. ein Lied auf Friedrich den Großen und auf Joseph II. Sonst ist das schwäbische Volk äußerst arm an historischen Liedern wie an historischen Sagen, trotzdem, daß doch bedeutende Ereignisse auf schwäbischem Boden vorgekommen sind. Das historische Volkslied ist weit mehr in Norddeutschland heimisch. Im Süden hat nur die Schweiz schöne Schätze der Art.
  6. Vermischte Lieder und Volkssprüche. Dieser Abschnitt enthält ein buntes Mancherlei, was sich keiner bestimmten Rubrik zuteilen ließ. Auch Bruchstücke, einzelne Verse, die mir merkwürdig schienen, sind hier aufgeführt. Ferner, sinnige Sprüche, die an alten Häusern, an öffentlichen Gebäuden, an Gemälden u. s. w. sich finden und den gesunden frommen Sinn der Vorzeit beurkunden
  7. Der 7. Abschnitt ist einer der reichsten und wichtigsten. Er enthält die eigentlichen Volksballaden und Erzählungen, die zum großen Teil einer älteren Zeit angehören und bis ins 15. und I6. Jahrhundert hinausreichen. Neben manchem Bekannten und Verwandten findet sich hier auch viel Neues und Eigentümliches, und selbst das sonst schon Bekannte und dem ganzen deutschen Volke Angehörende tritt in einer vielfach eigenen Form auf.

Mit der größten Sorgfalt war ich bemüht, überall möglichst reine und richtige Texte zu erhalten, was mir jedoch nicht immer gelungen ist. Eigene Verbesserungen habe ich mir nie erlaubt; dagegen bringen die Anmerkungen hie und da abweichende Lesarten, die von Interesse sind. Nur von drei Freunden der Volkspoesie sind mir einige Beiträge zugefloßen. Sonst habe ich diese wie meine übrigen Sammlungen einzig und allein durch eigene Mühe und Ausdauer und durch vielfache Opfer an Zeit und Geld zusammengebracht. Weitere Beiträge, Berichtigungen, namentlich vollständigere Texte einiger bruchstückartigen Lieder und Balladen oder auch eigentümlich abweichende Texte der hier mitgeteilten Stücke so wie getreue Auszeichnungen der Singweisen werden mir jederzeit willkommen sein.

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