Denkst Du daran, Berliner, als wir klagten
ob unsrer Knechtschaft, unsrer bittern Not;
als grollend wir den Gott da oben fragten,
wann endlich kommt der Freiheit Morgenrot?
Denkst Du daran, als wir den Schergen fluchten
der Despotie und ihrem Geisterbann,
wie wir daheim die Waffen untersuchten!
Mein Bruder, sprich, gedenkst Du noch daran?

Denkst Du daran, mein tapferer Berliner,
als wir uns rissen aus der alten Schmach;
als nun mit vielen Tausend ihrer Diener
der Kampf, der längst ersehnte Kampf, ausbrach?
Das Pflaster auf! Die Büchse scharf geladen!
Gieß‘ Kugeln, Bursch! Gesell, der Feind rückt an!
O sprich! An unsre heil’gen Barrikaden,
mein Burder, denkst Du noch daran?

Denkst Du daran, was unsre Brust empfunden,
als man Kartätschen auf die Bürger warf:
Als wir gewaschen unsrer Brüder Wunden
mit Tränen liebesmild und rachescharf?
Wir bebten nicht, wir sah’n die Kugeln fliegen,
wir schrieen mit dem Blut das um uns rann:
Tod oder Freiheit! Sterben oder Siegen!
Mein Bruder, sprich, gedenkst Du noch daran?

Denkst Du daran, was wir uns zugeschworen,
die Hand noch feucht von jener Helden Blut?
Blut war der Lohn, den wir für sie erkoren
in so gerechter, namenloser Wut.
O sprich’s nicht aus, was damals wir gelobten,
als sich das Herz, das mut’ge nicht besann!
O sprch’s nicht aus, was Zorn und Rache tobten,
doch denk daran, mein Bruder, denk daran!

Denkst Du daran, als wir nun jauchzend sangen:
Das Vaterland, das deutsche Volk ist frei!?
Wir hörten nicht das Wutgezisch der Schlangen
der lauernden, versteckten Tyrannei.
Denkst du daran, als wir die bleichen Helden
ins Grab gesenkt; wir weinten Mann für Mann!
Was sie getan, wird sie Geschichte melden;
sie denkt daran, o denk‘ auch Du daran!

Wir hörten sie, die Heldengeister mahnen
an unsern Schwur uns: Freiheit oder Tod!
Wir lassen sie nicht, unsre Siegesfahnen,
wie gift’gen Blickes auch der Feind uns droht.
Wir denken dran, wie wir der Knechtschaft fluchten:
Rühr‘ einer unser heilig Recht uns an!
Wir haben jetzt, was wir uns früher suchten:
Wir denken dran, bei Gott, wir denken dran!

Text: Adolf Glaßbrenner 1848
Musik: “ Denkst du daran mein tapferer Lagienka

Zur Geschichte dieses Liedes:

Parodien, Versionen und Variationen:

„Denkst du daran mein tapferer Lagienka“ ist ein Lied aus dem 1825 erstmals aufgeführten Singspiel ”Der alte Feldherr” von Karl von Holtei  (1798-1880). Das Lied ist ein Wechselgesang der in dem Singspiel auftretenden Figuren Thaddäus und Lagienka: Tadeusz Kosciusczko mit seinem Soldaten Lagienka.. Holtei schrieb es nach einem französischen Lied von Émile Debraux von 1815, dass die napoleonische Armee und ihre Feldzüge verherrlichte: “Te souviens tu disait un capitaine”.

Der Unterschied der Strophe 5  in verschiedenen Versionen erklärt sich daraus, “daß Holtei sein  Stück nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes von 1830/31, auf Grund der inzwischen erschienenen Biographie T. Kosciuszkos von Karl Falkenstein, umarbeitete und in unserem Lied die anfängliche Schlußstrophe durch eine neue ersetzte” (Steinitz II (1962)

Das Lied war äußerst beliebt:  “In Leipzig hatten sich 1200 Zuschauer zu einem für die Polen veranstalteten Konzerte im Gewandhaussaale eingefunden, das seinen stürmischen Höhepunkt erreichte, als das Nationallied “Denkst Du daran…” ertönte. ( in: “Komet” Beilage Nr.1 vom 7.1. 1832, zitiert nach Steinitz II (1962

In dem  Buch „Das Kölnische Volks- und Karnevalslied” (1951, S. 182—186) führt Paul Mies  zu “Denkst du daran mein tapferer Lagienka” an, daß diese Melodie im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts sehr beliebt war;  sie würde „besonders gewählt, wenn es sich im Text um Erinnerungen, um Abschied, um wehmütige Gedanken handelt”. Mies führt 10 Lieder auf diese Melodie an….

Das Lied war in Polen noch um 1900 bekannt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Mitteilung von Böhme ( Volkstümliche Lieder, S. 82), daß unser Lied schon 1840 von polnischen Bauernmädchen, die als Landarbeiter nach Schlesien kamen, gesungen wurde: “Der Cantor Jakob zu Hainau in Schlesien ließ sich 1840 in Bad Altwasser von jungen Polenmädchen den polnischen Text vorsingen, und die Melodie stimmte mit der bei Holtei überein. Ein Pole versicherte: “Die Melodie ist echt polnisch!”