Liederlexikon: Zigeuner

| 2017

„Zigeuner“ ist ein im heutigen Kontext meist abwertend verstandener, überwiegend in rechtsextremen Publikationen verwendeter Sammelbegriff für die verschiedenen Gruppen der Sinti und Roma. Insbesondere im 19. Jahrhundert wurde der Begriff gleichzeitig romantisierend wie diskriminierend verwendet.

Kaum erforscht: Anti-Ziganismus

Das alles ist freilich kaum erforscht: weder die Herkunft der Stereotype aus militärtaktischen Sicherheitsmaßnahmen ( während der jahrhundertelangen Auseinandersetzung mit den »Türken« wurden die beiderseits der österreichischen Militärgrenze wohnenden Roma grundsätzlich als Spione und Verräter denunziert, ein Verdacht, der sich bis in den zweiten Weltkrieg nachweisen läßt); erforscht ist auch kaum die enge Verwandschaft des Anti-Zigeunerstereotyps mit frauenfeindlichen Mustern, auffällig in der ganzen Hexenliteratur.

Im Zeitalter der Industralisierung ging es nicht zuletzt um die gewaltsamen Durchsetzung bürgerlicher Arbeitsdisziplin und der Ehmmierung der Bettler, Vagabunden, Landstreicher, Diebe und Tagediebe, wie sie Marx im 24. Kapitel des Kapitals (Bd.I) eindringlich beschrieben hat. Der Durchsetzung der Arbeitsdisziplin mit Peitschen, Galgen und Arbeitshäusern entspricht ein Prozeß der Internalisierung, der die neue Moral zunächst über religiöse Erziehung, später über bürgerliche Pädagogik (Aufklärung) in Hirne, Herzen und Leib einbrennt.

Ein gängiger Topos der entstehenden bürgerlichen Kinderbuchliteratur wird die Warnung vor den gefährlichen Zigeunern, die fast schon zur systematischen Gegenwelt bürgerlichen Lebens stilisiert werden, wo Seßhaftigkeit gleichbedeutend mit der Einbindung in den territorialen Nationalstaat ist.“

(Kurt Holl im Nachwort zu „Die Zigeunerfrieda“)

Weiter erwähnt Kurt Holl, daß noch 1880 eine Zigeunergeschichte aus einem bekannten Kinderbuch als diskriminierend entfernt worden war.

„Es handelt sich um das Kinderbuch Alwin und Theodor von Jakobs, zuerst erschienen 1805/7. In der Neuauflage von 1880 bemerkte der Herausgeber: »Zur Weglassung der Erzählung Der Fischerknabe, behandelnd die Entführung eines Knaben durch Zigeuner, wurde ich veranlaßt durch die Erwägung, daß derlei Vorfälle stets zu den Seltenheiten gehört haben und gegenwärtig als gänzlich ausgeschlossen zu betrachten sind, daß aber der Glaube daran im Volke immer noch lebendig ist und durch die schlichte Erzählung des glaubwürdigen Jakobs in schändlicher Weise neue Nahrung erhalten würde.«

Man sieht: Rassismus ist keine naturwüchsige Strömung, sondern ein immer wieder eingesetztes Stimulanz, für dessen Auftreten oder Abbau z.B. Autoren, Verleger, Buchhändler verantwortlich sind.  Wie in vielen anderen Bereichen war eben auch hier 1945 kein Kontinuitätsbruch. Der Kinderraub-Vorwurf gehört übrigens zu den ältesten Bestandteilen von Gruppendiskriminierungen: die Römer unterstellten es den Christen, die siegreichen Christen später ihren Häretikern und den Juden. Ist der Verdacht erst in der Welt, genügt oft ein einziger Vorfall, damit sich das Vorurteil als empirisch bestätigtes Urteil über die Gesamtgruppe ausweisen kann. (ebenfalls Kurt Holl)

Zur genaueren Erläuterung des Begriffs siehe den Wikipedia-Artikel, hier geht es um Lieder über „Zigeuner“.