Liederlexikon: Schnidderhanse Käthrin

| 1970

Die Witwe Catherine Nicolas geb. Winkler , “ Schnidderhanse Käthrin “ , in Greningen ( Kreis Forbach ) – geboren am 5. Februar 1839 – wurde über 95. Jahre alt. Sie sang Louis Pinck in Lothringen alte Volkslieder vor.  Lozuis Pinck schreibt über sie in den Anmerkungen zum 3. Band ( S. 466f):


Witwe Catherine Nicolas, geb. Wingler aus Greningen ( Kr. Chateau-Salins). Blick auf den Greninger Kirchturm, den die Nachbardörfler spöttisch den Greninger „Breikessel“ nennen. Im ganzen Dorf heißt die greise Sängerin „´s Munerle“  (so hatten sie nämlich ihre kleinen Enkelkinder immer gerufen, statt „Mutterle“, d. h. Großmütterchen). Früher war sie unter dem Dorfnamen „Schnidderhonse Käthrin“ bekannt. Ihr ‚Vater war nämlich Schneider und Kleinbauer und über 32 Jahre lang „chantre“. Von ihm hatte sie ihre Sangesgabe und ihre Lieder. Zum ersten Male hörte ich sie an ihrem 90. Geburtstag ihre Lieder singen. Einige Tage zuvor hatte ich Herrn Pfarrer Martin von Greningen getroffen und, da mir solch ein rein bäuerliches kleines Dorf nahe an der Sprachgrenze und fern vom Verkehr für die Erhaltung des Volksliedes wie geschaffen dünkte, fragte ich ihn, ob er dort niemanden kenne, der noch alte Lieder singe. „O doch“ erwiderte er, „und zwar eine sehr alte Frau. Kommen Sie nächste Woche, am 5. Februar, dann singt sie Ihnen gewiß vor. An diesem Tage wird sie nämlich 90 Jahre alt. Ich bringe ihr zum Geburtstag immer eine gute Flasche, was sie dann sehr freut und in beste Stimmung versetzt, so daß Sie ganz bestimmt auf Ihre Rechnung kommen!“


Dankbar entsprach ich der freundlichen Einladung; wir fanden gute Aufnahme. Sie war gerne bereit uns ihre alten Lieder vorzusingen. Ihre Tochter, Frau Witzmann, geb. 1872, sowie ihre Enkelin, Marie Witzmann, geb. 1908, beide gleichfalls tüchtige Sängerinnen, stimmten mit ein. Inzwischen stellte ich meinen Phonographen auf und unser Geburtstagshind sang nun allein die Lieder: „Schönes Blümelein, o Maria rein“, „Den Ackermann soll man loben“, „Es blaset ein Jäger wohl in sein Horn“ u. a. m. auf die Walze. Als der Apparat die Lieder wiedergab, konnte sie nicht genug staunen und bestätigte, man könne diese Lieder nicht genauer singen: „Jetzt bin ich schun so alt un han noch nischt e so gesiehn.“


Einige Monate später, Ende August, erhielt ich den Besuch mehrerer Volksliedfreunde, darunter die Herren Professoren Pirro von der Sorbonne , Paris , und Hans Naumann von der Frankfurter Universität für das traditionelle Fortleben des Volksliedes hätte ich Ihnen kein klassischeres Beispiel vorführen können als diese greise Sängerin, die Ihre Lieder von ihrem Vater übernommen hatte und sie an ihre Kinder und Kindeskinder weitergab. Und zwar nicht etwa schriftlich, sondern nur mündlich, denn schreiben konnte sie kaum: „Min Vatter hot nit gewillt, eß ich schriewe lehren. De Buwen mun schriewen kunnen. Wonn de Mädle kunnen schriewen, so schriewen se dumme Liewesbriefe.“ (Siehe Bd. II S. 403)


Um dem weiteren Sänger- und Freundeskreis der „Verklingenden Weisen“ im vorliegenden III. Band diese hochbetagte lothringische Volksliedsängerin vorstellen zu können, suchte Kunstmaler Bacher sie am 23. Juni 1933 in Greningen auf und zeichnete sie. Alle Greninger, die die Zeichnung sahen, riefen begeistert aus; „O, ´s Munerle. Wer´s g sieht, kennt´s.“