Es steht ein Lind in jenem Tal
ist oben breit und unten schmal
Darauf da sitzt Frau Nachtigall
und andere Vöglein vor dem Wald
„Sing an, sing an, Frau Nachtigall
du kleines Vöglein vor dem Wald!
Sing an. sing an, du schöns mein Lieb!
Wir beide müssen uns scheiden hie.“
„Wann es geht gen den Sommer
will ich herwieder kommen
Wenn alle Bâumlein tragen Laub
so schau auf mich, du schön Jungfrau!“
„Es geht wohl gen den Sommer
mein Feinslieb will nicht kommen her.“
Sie ging spazieren vor dem Holz
begegnet ihr ein Reiter stolz
Gott grüß euch, Jungfrau reine
was macht ihr hier alleine?‘
„So ist es heut ein ganzes Jahr
dass ich mein Lieb verloren hab“
„Was wollt ihr ihm entbieten?
Komm eben von ihm geritten
So ist es doch heut der neunte Tag
dass man ihm ein Jungfräulein gab“
„Hat man ihm ein Jungfräulein gebn
will ich beweinen mein junges Leben
weil er mir nicht kann werden zuteil
so wünsch ich ihm viel Glück und Heil.“
Was zog er von den Händen sein?
Von rotem Gold ein Ringelein:
„Seht hin, schön Jungfrau, das sollt ihr habn
eur Feinslieb sollt ihr nicht länger klagen!“
Sie warf den Ring wohl in ihrn Schoß
mit heißen Tränen sie ihn begoß
sie sprach: „Den Ring will ich nicht habn
mein Feinslieb will ich länger klagen!“
Da zog er ab sein seiden Hut
da erst erkennt ihn die Jungfrau gut:
„Bis Gott willkomm, du schöns mein Lieb!
Wie lang ließt mich in Trauren hie?“
„Hättst du mir einen Fluch getan
Wär ich geritten wieder davon!
Du machst mein Herz gar freudenvoll
du erfreust mich, dass ich dich haben soll!“
Text und Musik: Verfasser unbekannt
Text: Aus einer Straßburger Liederhandschrift (1592), Musik: aus den Souterliedekens (1540), womöglich ursprünglich eine Tanzmelodie. Dudelsack