Ich höre Lieder, ehrenswerte, klagen

Ich höre Lieder, ehrenswerte, klagen
Seh‘ edle Angesichter sich verschleiern
Prophetisch trauernd, daß in unsern Tagen
Der Prosa Weltreich seinen Sieg will feiern
Daß Poesie, entsetzt, nun fliehen werde
Auf schnurgerader Eisenbahn entjagen
Entführt auf Dampffregatten unsrer Erde
Auf Dampfkarossen ferne fortgetragen

Ei, wart ihr denn so hold den krummen Wegen
Daß ihr so sehr die graden scheuen könnet?
Und ist euch’s Poesie, auf Holperstegen
Zu kriechen, wenn zu fliegen euch vergönnet?
So macht euch auf, wohlan, auf alten Gleisen
Der Poesie, der flücht’gen, nachzujagen
Und knebelt mit Gebiß und Strang und Eisen
Das Roß, das edle freie, vor den Wagen!

Die Haid‘ entlang! Laßt eures Leibs Gebeine
Des Auferstehungstages Rütteln ahnen
Der Rosse Schnauben, Peitschenknall und Steine
Im Staubgewölk euch der Verlornen mahnen!
Springt dort ins Boot, laßt rudern eure Rechte!
In saurem Schweiß den Schiffer laßt nicht zagen!
Ob eure Brüder euch, die Ruderknechte
Von der verlornen Poesie nicht sagen?

Besteigt ein Schiff und fangt die Launenspende
Des wind’gen Windgotts auf im Segeltuche
Als ob ein Bettler mit dem Hut behende
Des Wandrers milden Sold zu haschen suche!
Will er’s, so ruht windstill mit schlaffem Segel
Seid festgefroren in den Sommertagen!
Vielleicht daß Delphin euch und Seegevögel
Von jener, so ihr suchet, weiß zu sagen!

Ich will indeß die Bahn des Rheines
Auf schwarzem Schwan, dem Dampfschiff, singend schwimmen,
Den Becher schwingend voll des goldnen Weines
Dir, Menschengeist, den Siegesrhythmus stimmen!
Wie dir der Feuergeist die Flammenkrone
Herab vom stolzen Haupt hat reichen müssen
Wie du dem Erdengeiste, seinem Sohne,
Das ehr’ne Herz kühn aus der Brust gerissen

Wie du zu beiden sprachst: Ihr sollt nicht rasten!
Daß fürder Mensch nicht Menschen knechten möge,
Geh, Feuer du, und trage deine Lasten
Leb, Eisen du, und wandle seine Wege!
Ich weiß, daß deines Wandels Flammengleise
Kein Blümchen im Poetenhain bedrängen
So wie des Heil’genscheines Glutenkreise
Kein Löckchen am Madonnenhaupt versengen

Nein, Amt der Poesie in allen Tagen
Ist’s, hoher Geist, dein Siegesfest verschönen
Wie der Victoria Goldbild überm Wagen
Des Triumphators schwebt, um ihn zu krönen
Schon seh‘ ich dort entlang des Gaues Straßen
Die dampfgetriebnen Wagenburgen fliegen
Wie scheugewordne Elephantenmassen
Thürm‘ und Geschwader tragen fort zu Siegen

Der schwarzen Rüssel Schlote hoch erhoben
Dampfschnaubend, rollend wie die Wetterwolke!
Die Mannen, siegestrunken, jauchzend oben
Weitum gelichtet alle Bahn vom Volke
Wenn auch aus seinem alten Lindenfrieden
Den Patriarchen dort des Dorfs sie wecken
Nicht schadet’s, wenn er, was der Geist beschieden
Die Mütze lüftend, schaut mit freud’gem Schrecken

Nicht schadet’s, wenn er, was er dort sah tosen
Des Geistes wandelnden Altar muß nennen
Wenn er im Rauchkoloß, dem flücht’gen, losen
Die Gluth, die ew’ge, die ihn zeugt, sieht brennen
Und wenn er betend fleht, daß die Minerve
Die jetzt des Volks olymp’schem Haupt entsprungen
Nie gen den Vater die Geschosse werfe
Nie sei von seiner Dränger Sold gedungen!

Und wenn er ahnt, daß sie in schönern Tagen
Wofür er selbst einst feststand im Gefechte
Dem Enkel werde zu ersiegen wagen
Ein glorreich Vaterland und heil’ge Rechte
Laßt beten ihn und ahnen so im Stillen
Bis sich gesenkt vor uns des Dampfes Wolke
Als heil’ger Tempelvorhang, zu verhüllen
Der Zukunft Schickungen dem jetz’gen Volke.

Anastasius Grün, 1838
Poesie des Dampfes
in Die Eisenbahn im Gedicht