Unter dem Himmel

Lasst mich in Gras und Blumen liegen
Und schaun dem blauen Himmel zu
Wie goldne Wolken ihn durchfliegen
In ihm ein Falke kreist in Ruh

Die blaue Stille stört dort oben
Kein Dampfer und kein Segelschiff
Nicht Menschentritt, nicht Pferdetoben
Nicht des Dampfwagens wilder Pfiff

Lasst satt mich schaun in dieser Klarheit
In diesem stillen, sel’gen Raum
Denn bald könnt‘ werden ja zur Wahrheit
Das Fliegen, der unsel’ge Traum

Dann flieht der Vogel aus den Lüften
Wie aus dem Rhein der Salmen schon
Und wo einst singend Lerchen schifften
Schifft grämlich stumm Britannias Sohn

Schau‘ ich zum Himmel, zu gewahren
Warum’s so plötzlich dunkel sei
Erblick‘ ich einen Zug von Waren
Der an der Sonne schifft vorbei

Fühl‘ Regen ich beim Sonnenscheine
Such‘ nach dem Regenbogen keck
Ist es nicht Wasser, wie ich meine
Wurd‘ in der Luft ein Ölfass leck

Satt lasst mich schaun vom Erdgetümmel
Zum Himmel, eh‘ es ist zu spät
Wann, wie vom Erdball, so vom Himmel
Die Poesie still trauernd geht

Verzeiht dies Lied des Dichters Grolle
Träumt er von solchem Himmelsgraus
Er, den die Zeit, die dampfestolle
Schliesst von der Erde lieblos aus

Justinus Kerner: Unter dem Himmel
(im: Morgenblatt 1845)
in: Die Eisenbahn im Gedicht