Liederlexikon: Liederjan

| 1970

Zunächst waren sie auf der Flucht. Auf der Flucht vor den sogenannten Volksliedern ihrer Schulzeit. Vor den schrillen Dissonanzen der im Anschlag gehaltenen Blockflöten, dem Stampfen der Blockabsätze ihrer Musiklehrerinnen und den alten Ideen in manchem Lehrerkopf. Wie bei vielen der ersten deutschen Nachkriegsgeneration regte sich der Widerspruch gegen bestehende politische Verhältnisse. In den unruhigen und lebhaften Studententagen der späten Sechziger begannen sie irische Lieder zu singen unter dem Gruppennamen „Tramps & Hawkers“ . Lieder von Rebellion, von Liebe und vom Saufen; von Dingen also, die ihnen bestens vertraut waren.
Doch das Schönste an den Liedern war – sie waren nicht in deutscher Sprache! Ein paar Jahre später – angeregt durch irische Sangeskollegen – wandten sie sich dann doch der deutschen Sprache zu und LIEDERJAN war geboren. Sie suchten und fanden Lieder in denen nicht die dralle, wenngleich silikonfreie Sennerin und der schmucke Bursche über grüne Wiesen hoppelten.
Sie lernten, dass ihre Vorfahren nicht nur der Haufen Duckmäuser und Abnicker gewesen waren, als die sie von interessierter Seite so gerne dargestellt wurden. Auf der Basis der so „ersungenen“ Identität begannen die Liederjans eigene Lieder zu schreiben und zu singen. Sie machten sogar ihren Frieden mit der „dicke Backen-Musik“, den Blechblasinstrumenten, wobei ihr komödiantisches Talent sie mehr und mehr in die Nähe des Kabaretts rückte.
So sind die drei norddeutschen Flachlandspottdrosseln dann das geworden, was sie heute sind: Gewiefte Entertainer – um Mal ein deutsches Wort zu benutzen – mit sattem Satzgesang und einer Unzahl teils sehr ungewöhnlicher Instrumente (alles was gezupft, gestrichen und geblasen wird – zur Not sogar die Blockflöte). Sie bedienen sich ungeniert und respektlos aus den verschiedensten musikalischen Töpfen und erlauben sich zu Zeiten geistiger Windschnittigkeit die Lust am Widerspruch. Drei kantige Querdenker, die mit Genuss die singende Säge im Zeitgeistwäldchen ansetzten – norddeutsch, niederträchtig und doch charmant.