Es rollt und rüttelt und dröhnt und dampft (Eisenbahn)

Es rollt und rüttelt und dröhnt und dampft
Und klirrt und rasselt und stürmt und stampft
An kreisenden Feldern vorüber im Flug
Durch Pommerns Ebne keucht der Zug

Ich schaue und horche und weiß es kaum
Ich träume einen stolzen Traum
wie Form geworden der Menschengeist
donnernd um Achse und Achse kreist

Da schreit ein Kindchen neben mir
Und übertönt das Eisentier.
Es klang so weh, mein Traum zerrinnt;
So blaß, so mager ist das Kind.

Im Wagen schwankt die Dämmerung,
und Gaslicht schwankt und Schattensprung;
aus rotgewürfeltem Bettzeug sticht
so spitz heraus das kleine Gesicht.

Von Kisten und Kasten eingezwängt,
von Säcken und Päcken überdrängt,
schaukelt die Mutter ihr Kind zur Ruh
und summt ein Wiegenlied dazu.

Und rund herum, bedrückt und schwer,
verworrene Worte, hin und her;
Gesichter, furchig, knochig, stumpf,
und Menschendünste, dick und dumpf.

Zusammengeduckt mit Hab und Gut,
mit ihrem letzten bißchen Mut,
aus Polen und Preußen sitzen sie da
wollen nach Amerika.

Nur wenn das Wörtchen ‚drüben‘ fällt,
grünt eine ferne Hoffnungswelt;
und Alle atmen tiefer dann,
und Alle sehn sich nickend an.

Und durch ihr Munkeln, ihr Geschwärm,
durch Rädergepolter und Eisenlärm,
wie Stimmen der Erlösung, ziehn
der Mutter leise Melodien.

O heiliger Stall von Bethlehem,
dein Wunder ist noch heut zu sehn,
wenn eine Wöchnerin beglückt
ihr Kind in Armut an sich drückt!

Nun schläft’s; nun hüllt sie’s ein recht warm
Und legt’s behutsam aus dem Arm,
und lehnt sich müd an ihren Mann
und sieht ihn bang und liebreich an.

Und er versteht den Mutterblick
Voll Sorge, Furcht und Mißgeschick,
und mit der breiten Schwielenhand
zeigt er hinaus ins finstre Land:

‚Sei ruhig, Marie, du wirst schon sehn,
da drüben wird alles anders gehn.
Da schaff ich uns eigen Feld und Vieh,
da wirst du wieder gesund, Marie.

Du brauchst nicht leben wie ein Hund
ihr werdet beide wieder gesund.
Und unser Kind hat, wenn es groß,
im neuen Land ein besser Los!‘

Und Sorge, Furcht und Mißgeschick
vergehen in dem einen Blick,
mit dem sich diese Bauernseelen
von ihrem Kinde stumm erzählen …

Richard Dehmel („Vierter Klasse“, 1891)
Die Eisenbahn im Gedicht (Nr. 27)