Dein Lied ist rührend, edler Sänger!

Dein Lied ist rührend, edler Sänger
Doch zürne dem Genossen nicht
Wird ihm darob das Herz nicht bänger
Das, Dir erwidernd, also spricht

Die Poesie ist angeboren
Und sie erkennt kein Dort und Hier
Ja, ging die Seele mir verloren
Sie führ zur Hölle selbst mit mir

Inzwischen sieht’s auf dieser Erde
Noch lange nicht so graulich aus
Und manchmal scheint mir, Gottes: Werde!
Ertön‘ erst recht dem „Dichterhaus“

Schon schafft der Geist sich Sturmesschwingen
Und spannt Eliaswagen an –
Willst träumend Du im Grase singen
Wer hindert Dich, Poet, daran?

Ich grüße Dich im Schäferkleide
Herfahrend, – doch mein Feuerdrach
Trägt mich vorbei, die dunkle Haide
Und Deine Geister schaun uns nach!

Was Deine alten Pergamente
Von tollem Zauber kund Dir tun
Das seh ich durch die Elemente
In Geistes Dienst, verwirklicht nun

Ich seh‘ sie keuchend sprühn und glühen
Stahlschimmernd bauen Land und Stadt
Indess das Menschenkind zu blühen
Und singen wieder Muße hat

Und wenn vielleicht, nach fünfzig Jahren
Ein Luftschiff voller Griechenwein
Durch’s Morgenrot käm hergefahren
Wer möchte da nicht Fährmann sein?

Dann bög ich mich, ein sel’ger Zecher,
Wohl über Bord, von Kränzen schwer
Und gösse langsam meinen Becher
Hinab in das verlassne Meer!

Gottfried Keller, 1845
Gegengedicht auf Justinus Kerners Unter dem Himmel
Die Eisenbahn im Gedicht