Gegen Hurrapatriotismus (1910)

SPD-Abgeordneter Henke (in: Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft vom Jahre 16.3.1910)

Was wir unter Republik verstehen, ist in all diesen Republiken nicht zu finden. Natürlich ist unsere Auffassung von einer Republik eine andere als sie unter den heutigen Republikanern anzutreffen ist. Aber wie verträgt sich mit irgend einer Republik die Verherrlichung einer Person, sei es der Person des Kaisers oder eines ändern Fürsten, der Verherrlichung einer einzelnen Person? Denn darauf läuft es doch hinaus bei der Kaisergeburtstagsfeier in Schulen, sie läuft auf eine Verherrlichung einer Person, auf Byzantinismus hinaus.

Wenn man weiß, wie die Lehrer im Seminar gebildet werden, wie ihnen da in verhältnismäßig dürftiger Weise vaterländische Gesinnung beigebracht wird, wie dann vielleicht in der Kaserne das Dienstjahr nachhilft, wie dann der § 25 des Beamtengesetzes ihnen die „Pflicht“ zum Bewußtsein bringt, dann versteht man, daß die Feier von Kaisers Geburtstag in den Schulen nichts anderes ist in ihrem Effekt, als daß Byzantinismus getrieben wird, ein Schwelgen in Byzantinismus.

Wir sind der Meinung, daß das einer Republik vollkommen unwürdig ist und daß damit dem Kaiser oder dem Gedanken des Kaisertums auch nichts genützt wird. Wenn wir bedenken, daß das Kaisertum herausgewachsen ist aus den Verhältnissen der historischen Entwicklung, so bedarf es dieser Stütze nicht, sofern es mit diesen Verhältnissen noch in Einklang steht; da bedarf auch der Kaiser der Verherrlichung von den Schulkindern nicht. Der Gedanke des Kaisertums ist nach unserer Auffassung allerdings überholt, und wenn er heute noch aufrecht erhalten wird, so ist das aus ganz naheliegenden Gründen zu erklären.

Es handelt sich dabei nur um einen Prozentpatriotismus. Das Bürgertum, das   liberale  Bürgertum ist durchaus nicht mehr auf der Höhe des bürgerlichen Patriotismus, wenn es Liebe heuchelt bei der Kaisergeburtstagsfeier. Deshalb sind wir der Meinung, daß man endlich der Kaisergeburtstagsfeier in den Volksschulen ein Ende machen sollte. Das sollte schon darum geschehen, um nicht die Kinder in einen Widerspruch zum Elternhause zu bringen.

Wenn da ein Kind aus der Schule nach Hause kommt und fragt: Unser Lehrer hat uns da vom Kaiser so nette Geschichten erzählt, daß er in Musik, Malerei, im Predigen und als Soldat so viel leiste, daß er so genial ist in allen Dingen, ist denn alles so, wie der Lehrer erzählt hat? Dann sagt der Vater des Kindes, wenn er ein Sozialdemokrat ist: Der Kaiser ist ein Mensch wie andere Menschen auch, und was da von ihm erzählt wird, ist Byzantinismus, übertriebene Verherrlichung eines Menschen. Und vielleicht sagt der Vater dann noch: Früher war es schlimm. Im alten Rom verehrte man den Kaiser sogar im Bilde und verlangte von jedem Soldaten, daß er ihn anbetete, und wenn der Soldat das nicht tat, wurde er hingerichtet. Manches ist jetzt anders geworden infolge der Aufklärung.

Wir sind bemüht, unsere Kinder aufzuklären. Was in der Schule geleistet wird, steht im ärgsten Widerspruch mit unserer Auffassung. Sie können nicht bestreiten, daß wir ein Recht zu unserer Weltanschauung haben. Mögen Sie sie belächeln, bekämpfen, so ist das Ihr gutes Recht, wenn Sie unsere Weltanschauung nicht teilen, aber unser gutes Recht ist, daß wir unsere eigene Weltanschauung haben. Dieses Recht auf unsere Weltanschauung müssen Sie anerkennen, wir können verlangen, daß wir in unserer Weltanschauung geschützt werden.

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  • Ompteda (29. März 1863)

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