Die Macht des deutschen Liedes im gegenwärtigen Kriege (1916)

Professor Dr. Hermann  Tardel , Gymnasiallehrer und Volkskundler (in: Preußische Jahrbücher , Jg. 1916, S. 75 f)

Der Kaiser hatte an die ausziehenden Kadetten am 11. August 1914 die Worte gesprochen: „Sollte uns Gott der Herr den Sieg schenken, so bitte ich mir aus, daß der Choral von Leuthen nicht fehlt.“ In der Tat sind oft auf blutgetränktem Schlachtfeld nach heiß errungenem Sieg Danklieder erschollen, Choräle neben den Nationalliedern.

… der Angriff erfolgt meistens zwar unter Hurrarufen, nicht aber unter Absingen von Liedern, da die moderne Kampftechnik ein eigentliches Singen gar nicht gestattet. Der gewöhnliche Verlauf des Angriffs wird aus einem Feldpostbrief deutlich: „Ein schmetterndes Trompetensignal! Noch mehrere! Alles übertönend, das Signal „Rasch vorwärts“ der Hornisten und Tamboure! Mit aufgepflanztem Bajonett geht es vorwärts im Sturm auf die russische Stellung. Da – von einem einzigen Hurra erzittert die Nacht -Tausende und Abertausende von Männerkehlen rufen laut. Das Handgemenge beginnt.“

Die schon weithin berühmt gewordene Generalstabsmitteilung vom 12. (11.) November 1914: „Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange „Deutschland, Deutschland über alles“ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie (Erfolg: 2000 fran-zösische Gefangene, 6 Maschinengewehre)“ bezeichnet eine solche Ausnahme von der Regel, daß sie besonders hervorgehoben zu werden verdiente. Es lag hier eine ganz ungewöhnliche Kraftanspannung vor, die in der überquellenden, todesmutigen Begeisterung der jüngstdeutschen Generation wurzelt. (Anmerkung: Diese Geschichte ist mittlerweile als eine Lüge und reine Kriegspropaganda entlarvt: Siehe dazu www.langemarck.net  )

Der Vorfall hat sich später noch ein paarmal wiederholt. Im Januar 1916 eroberten in der Champagne die Reserven eines sächsischen Infanteriereqiments verloren gegangene Gräben unter dem Gesange des „Deutschland über alles“ zurück (Weserzeitung , 9. Jan. 1916). Nach einem über Genf (4. März 1916) gemeldeten Bericht des Figaro wären die Deutschen beim Sturm auf die Feste Douaumont trotz heftigen Feuers der Franzosen mit dem Gesang der „Wacht am Rhein“ vorwärtsgedrungen. Die Regimentmusik begleitet, wo es örtlich möglich ist, den Angriff, wie mehrfach aus dem Osten berichtet
wird…. (Anmerkung: Auch hier handelt es sich vermutlich um reine Kriegspropaganda , womöglich, damit die erste Lüge glaubhafter wurde)

In den „Kriegsfahrten deutscher Maler“ (1915) betont Theodor Rocholl den Einfluß der begeisterungsfähigen Kriegsfreiwilligen (Brief vom 3. Juni 1915): „Das Regiment lag seit Stunden im vollen schweren Granatfeuer unweit des Aisne-Kanals und hatte große Verluste. Aber es hieß: ausharren, komme was da wolle. Die Sonne schien heiß. Die Granaten kamen mit jeder Sekunde toller, und es war kein Ende abzusehen. Die Stimmung wird immer unerträglicher. Und bei zahllosen, vor wahnsinnigen Schmerzen wimmernden und sich krümmenden Opfern scheint es nur eine Frage weniger Minuten und die Standhaftigkeit, die das Regiment nun schon so oft bewiesen, wird immer mehr auf die Probe gestellt. Da tönt – erst leise und zaghaft, dann laut und helle durch all das Stöhnen der Sterbenden und das Jammern der Schwerverwundeten – die Stimme eines blutjungen Kriegsfreiwilligen, dessen Feuertaufe dieser Tag war, „0 Deutschland, hoch in Ehren“, und alles Klagen verstummt vor der Stimme dieses Jünglings, und aller Augen ringsum suchen nach dem Sänger, und Aktive, Reserve und Landwehrmänner legen die Hand wie schmeichelnd an ihr Gewehr, schieben Patronenrahmen nach Patronenrahmen hinein und halten aus, bis der Abend naht und mit ihm die Ablösung.“

Nach all diesen erhebenden Zeugnissen läßt sich sagen, daß Bismarcks vorahnendes Wort von dem Lied als Kriegsverbündeten des deutschen Volkes wunderbar in Erfüllung gegangen ist. Das Lied wirkt anspannend während des Marsches, beim Vorrücken, entspannend nach dem Marsch oder Gefecht, im Lager, in der Ruhestellung. Das eigentliche Soldaten- und Marschlied spornt an, rafft auf und mindert die Anstrengungen, das Nationallied begeistert und feuert zur Höchstleistung, zum Einsatz des Lebens an; im heimatlichen Volkslied und Choral ebbt das erregte Gefühl ab und führt zum Ausgleich. Die letzte Wirkung des Liedes ist immer eine ethische. Man täusche sich nicht darüber, daß der Krieg trotz aller Erfolge im großen, aller Heldentaten im einzelnen unvermeidbar seelische Abstumpfung zur folge hat.

Seiten: 1 2 3 4

Volksmusik:
Liederzeit:

Ort: