Liederlexikon: Udils-Kättel

| 1922

Udils-Kättel hieß eigentlich Katharina Kieffer und stammte aus Hambach in Lothringen , wo sie von 1848-1922 lebte. In dem Buch Verklingende Weisen (1926) heisst es über sie:
Diese alte Jungfer konnte weder lesen noch schreiben, hatte aber ein ganz hervorragendes Gedächtnis. Wenn sie als junges Mädchen ein Lied hörte, behielt sie es sofort, besonders die lyrischen, die „Schätzelslieder“. Deshalb war aber auch ihr alter Herr Pastor Cilly (1836-1870, Pfarrer in Hambach) nicht besonders gut auf sie zu sprechen und beklagte sich oft über´s Kättel bei ihrem Vater, der ein Hauptsänger in der Kirche war. Die Geistlichkeit hatte diesen Schätzelsliedem unbarmherzig den Krieg erklärt. In dem „Lehr-, Gebet-, Gesang- und Schulbuch“, das 1789 der gelehrte Herr Philipp , Pastor in Waldmünster, herausgab, ist sogar die Rede von der „Seuche der Weltlieder“. Es ist zweifelsohne manches darunter gewesen, das anstandshalber nicht gesungen werden durfte, aber ich glaube, man verallgemeinerte doch allzu sehr und eiferte manchmal allzu unterschiedslos gegen das Volkslied überhaupt, das man kurzweg als „Schätzelslied“ bezeichnete und bekämpfte, obschon wir beim Volkslied im deutschsprachigen Lothringen verhältnismässig wenig Zotenhaftes finden.
Die arme Kättel — arm war sie wie Lazarus, und ihre Wohnung so arm, wie man sich´s nur vorstellen kann — blieb aber zeitlebens liederfroh. Die alten, schönen Lieder hatten es ihr angetan. Die neueren Lieder, die nach 1870 aus den Kasernen, Vereinen und Schulen immer mehr ins Land kamen und die alten Volkslieder verdrängen halfen, waren für´s Kättel keine schönen Lieder mehr. Die hatten für sie keinen Wert und existierten als Lieder überhaupt nicht für sie, so dass sie allen Ernstes den Jüngeren vorwarf, sie konnten gar nicht mehr singen. Sie meinte einmal: „Sith´r die Preissen im Land sin, do pifft keen Vogel meh.“ Was würde Udils-Kaettel aber erst heute sagen, wo kein Kind mehr auch nur ein Lied in seiner deutschen Muttersprache in der Schule lernt!“