Du tratst auf des Jahrhunderts Schwelle
ein zartes Kind an Mutterhand
Noch leuchtete mit matter Helle
das Abendrot dem deutschen Land
Da kam die Nacht herangezogen
die grimmen Sturm im Schoße trug
die Engel des Gerichtes flogen
und Preußens schwerste Stunde schlug

Du sahst das schreitende Verderben
ein Knabe noch, die deutsche Schmach
du sahst die edle Mutter sterben
der Deutschlands Not das Herze brach
Doch als zuletzt nach Wettergrauen
empor der neue Morgen stieg
da durftest du beglückt auch schauen
als Jüngling deines Volkes Sieg

Dem Siege folgte das Erstarren:
statt deutschen Reichs der „deutsche Bund“
Wir wurden zu Europas Narren
und bargen zaghaft unser Pfund
Wer wird das deutsche Recht erstreiten
Wo strahlt uns noch ein Hoffnungslicht
Du sahst die Qual der öden Zeiten
ein Leben lang und zagtest nicht

Als spät zur gottgewollten Stunde
der Stab der Herrschaft dir verliehn
flog zum Kyffhäuser frohe Kunde:
„Die Zeit ist reif! Der Tag erschien!“
Im Schlachtenwetter uns verjüngend
hast du zum Staunen aller Welt
mit edlem Heldenblut ihn düngend
den deutschen Acker neu bestellt

So lange deutsche Herzen schlagen
und frei der Rhein die Nordsee sucht
wird man von Kaiser Wilhelm sagen
und preisen seines Lebens Frucht
Was er mit schlichtem Mut errungen
soll stehen bleiben felsengleich
die Alten schwören´s und die Jungen:
Hie Gott der Herr und Deutsches Reich

Text: Th.  Renaud (Vulpinus) –
Musik: auf die Melodie von Sind wir vereint zur guten Stunde
in Allgemeines Deutsches Kommersbuch

Zur Geschichte dieses Liedes:

Parodien, Versionen und Variationen: „Sind wir vereint zur guten Stunde“ ist ein Lied von Ernst Moritz Arndt (1814) Georg Friedrich Hanitsch (1815, nach Pierre Gaveaux . Es entstand im Gefühl des Sieges nach den Befreiungskriegen und wurde als Bundeslied vielfach nachgedichtet.