Allerhöchste Ordre für Schulpolitik (1890)

Wilhelm R. Fürst von Bismarck (in: Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts. Berlin, 4. bis 17. Dezember 1890. Im Auftrage des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten)

Berlin, den 18. Oktober 1890

Seine Majestät der König haben am 1. Mai 1889 nachstehende Allerhöchste Ordre an das Staatsministerium zu erlassen geruht:

Schon längere Zeit hat Mich der Gedanke beschäftigt, die Schule in ihren einzelnen Abstufungen nutzbar zu machen, um der Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen entgegenzuwirken. In erster Linie wird die Schule durch Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterlande die Grundlage für eine gesunde Auffassung auch der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu legen haben.

Aber Ich kann Mich der Erkenntniß nicht verschließen, daß in einer Zeit, in welcher die sozialdemokratischen Irrtümer und Entstellungen mit vermehrtem Eifer verbreitet werden, die Schule zur Förderung der Erkenntniß dessen, was wahr, was wirklich und was in der Welt möglich ist, erhöhte Anstrengungen zu machen hat. Sie muß bestrebt sein, schon der Jugend die Ueberzeugung zu verschaffen, daß die Lehren der Sozialdemokratie nicht nur den göttlichen Geboten und der christlichen Sittenlehre widersprechen, sondern in Wirklichkeit unausführbar und in ihren Konsequenzen dem Einzelnen und dem Ganzen gleich verderblich sind.

Sie muß die neue und die neueste Zeitgeschichte mehr als bisher in den Kreis der Unterrichtsgegenstände ziehen und nachweisen, daß die Staatsgewalt allein dem Einzelnen seine Familie, seine Freiheit, seine Rechte schützen kann, und der Jugend zum Bewußtsein bringen, wie Preußens Könige bemüht gewesen sind, in fortschreitender Entwicklung die Lebensbedingungen der Arbeiter zu heben, von den gesetzlichen Reformen Friedrichs des Großen und von Aufhebung der Leibeigenschaft an bis heut. Sie muß ferner durch statistische Tatsachen nachweisen, wie wesentlich und wie konstant in diesem Jahrhundert die Lohn- und Lebensverhältnisse der arbeitenden Klassen unter diesem monarchischen Schütze sich verbessert haben. Um diesem Ziele näher zu kommen, rechne Ich auf die volle Mitwirkung Meines Staatsministeriums. Indem Ich dasselbe auffordere, den Gegenstand in weitere Erwägung zu ziehen und Mir bestimmte Vorschläge zu machen, will Ich nicht unterlassen, nachstehende Gesichtspunkte besonderer Beachtung zu empfehlen.

  1.  Um den Religionsunterricht in dem angedeuteten Sinne fruchtbarer zu machen, wird es erforderlich sein, die ethische Seite desselben mehr in den Vordergrund treten zu lassen, dagegen den Memorirstoff auf das Nothwendige zu beschränken.
  2. Die vaterländische Geschichte wird insonderheit auch die Geschichte unserer sozialen und wirtschaftlichen Gesetzgebung und Entwicklung seit dem Beginne dieses Jahrhunderts bis zu der gegenwärtigen sozialpolitischen Gesetzgebung zu behandeln haben, um zu zeigen, wie die Monarchen Preußens es von jeher als ihre besondere Aufgabe betrachtet haben, der auf die Arbeit ihrer Hände angewiesenen Bevölkerung den landesväterlichen Schutz angedeihen zu lassen und ihr leibliches und geistliches wohl zu heben, und wie auch in Zukunft die Arbeiter Gerechtigkeit und Sicherheit ihres Erwerbes nur unter dem Schütze und der Fürsorge des Königs an er Spitze eines geordneten Staates zu erwarten haben. Insbesondere vom Standpunkte der Nützlichkeit, durch Darlegung einschlagender praktischer Verhältnisse, wird schon der Jugend klar gemacht werden können, daß ein geordnetes Staatswesen mit einer sicheren monarchischen Leitung unerläßliche Vorbedingung für den Schutz und das Gedeihen des Einzelnen in seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Existenz ist, daß dagegen die Lehren der Sozialdemokratie praktisch nicht ausführbar sind, und wenn sie es wären, die Freiheit des Einzelnen bis in seine Häuslichkeit hinein einem unerträglichen Zwange unterworfen würde. Die angeblichen Ideale der Sozialisten sind durch deren eigene Erklärung hinreichend gekennzeichnet, um den Gefühlen und dem praktischen Sinne auch der Jugend als abschreckend geschildert werden zu können.
  3. Es versteht sich von selbst, daß die hiernach der Schule zufallende Aufgabe nach Umfang und Ziel für die verschiedenen Stufen der Schulen angemessen zu begrenzen ist, daß daher den Kindern in den Volksschulen nur die einfachsten und leicht faßlichen Verhältnisse dargeboten werden dürfen, während diese Aufgabe für die höheren Kategorien der Unterrichtsanstalten entsprechend zu erweitern und zu vertiefen ist. Insbesondere wird es darauf ankommen, die Lehrer zu befähigen, die neue Aufgabe mit Hingebung zu erfassen und mit praktischem Geschicke durchzuführen. Zu diesem Ende werden die Lehrerbildungsanstalten eine entsprechende Ergänzung ihrer Einrichtung erfahren müssen.

Ich verkenne nicht, welche Schwierigkeiten der Durchführung dieser Aufgabe sich entgegenstellen werden, und daß es einer längeren Erfahrung bedarf, um überall das Richtige zu treffen. Aber diese Bedenken dürfen nicht abhalten, mit Ernst und Ausdauer der Durchführung eines Zieles näher zu treten, dessen Verwirklichung nach Meiner Ueberzeugung für das Wohl des Vaterlandes von hervorragender Bedeutung ist. Das Staatsministerium wolle hiernach die notwendigen Erörterungen in die Wege leiten und nach Abschluß derselben an Mich berichten.

Seiten: 1 2

Volksmusik:
Liederzeit:

Ort:

Volkslied-Geburtstag heute:

Welche Person der Volksmusik-Geschichte hat heute Geburtstag?:

  • Carl Loewe (20. April 1796)

    Noten dieses Liedes
    Der Kantor, Organist und Komponist Johann Carl Gottfried Loewe wurde am 30. November 1796 in Löbejün geboren. Er starb am 20. April 1869 in Kiel. ...

  • Friedrich von Sallet (20. April 1812)

    Noten dieses Liedes
    Friedrich von Sallet wurde am 20. April 1812 in Neiße geboren; er starb am 21. Februar 1843 in Reichau, Landkreis Strehlen. ...